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Ein revolutionäres Adventslied – das Magnificat
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Ein revolutionäres Adventslied – das Magnificat

Dr. Fabian Vogt
Ein Beitrag von Dr. Fabian Vogt, Evangelischer Pfarrer in der Öffentlichkeitsarbeit, Frankfurt
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Jedes Jahr verkünden die Kirchen an Weihnachten: "Schaut her! Der Sohn Gottes kommt nicht in einem Palast zur Welt, sondern in einem Stall. Da liegt er! Nicht in einem Himmelbett, sondern in einer armseligen Krippe." Wow.

Klingt ein bisschen nach Sozialromantik, ein bisschen nach Robin Hood und ein bisschen nach "Landlust" in der Antike: Stroh und Stallgeruch, Ochs und Esel, Schafe und Hirten – nebst einer Schar holder Engel.

Und Maria, die Mutter von Jesus, kniet in den meisten Weihnachtsdarstellungen hingegeben vor der Krippe und schaut das rosige Kindlein selig an. Wie schön.

Das wildeste Adventslied, das je gesungen wurde

Dieses ein wenig süßliche Bild hat meine Vorstellung von Maria lange Zeit geprägt. Bis mir klar geworden ist: In der Bibel wird Maria ganz anders dargestellt … nämlich wild, energisch und kraftvoll.

Und nicht nur das: Sie jubelt. Sie singt. Ein kämpferisches Lied, das nach dem ersten Wort der späteren lateinischen Übersetzung heute meist als "Magnificat" bezeichnet wird. Und dieses Magnificat hat es wirklich in sich.

Der Theologe Dietrich Bonhoeffer hat dazu einmal geschrieben: Das "Lied der Maria ist das leidenschaftlichste, wildeste, ja man möchte fast sagen: revolutionärste Adventslied, das je gesungen wurde. Es ist nicht die sanfte, zärtliche, verträumte Maria, wie wir sie auf Bildern sehen, sondern … die leidenschaftliche, hingerissene, stolze, begeisterte Maria, die hier spricht."

Maria singt ihre zukunftsweisende Hymne übrigens bei einem Verwandtenbesuch. Sie ist zu Gast bei ihrer Cousine Elisabeth, die ebenfalls schwanger ist.

Warum revolutionär?

Und – so erzählt es das Lukasevangelium (Lukas 1,39-56) – da fängt plötzlich das Kind von Elisabeth an, im Bauch seiner Mutter zu hüpfen … weil es die Gegenwart von Jesus in Marias Bauch spürt. Woraufhin Elisabeth ruft: "Maria. Ich preise dich. Es ist unfassbar: Du wirst die Mutter von Gottes Sohn."

Spannend ist: Obwohl Maria das ja schon längst von einem Engel prophezeit wurde, scheint sie es erst jetzt so richtig zu realisieren. Jedenfalls fasst sie all die Empfindungen, die nun auf sie einstürmen, in einem Lied, eben im Magnificat zusammen:

"Meine Seele erhebt den Herren, und mein Geist freut sich über Gott, meinen Heiland, denn er hat die Niedrigkeit seiner Magd angesehen. Er hat große Dinge an mir getan. Er zerstreut die Selbstgerechten und erhebt die Niedrigen."

Dieses Lied ist wirklich revolutionär. Warum? Darum geht es heute morgen in den hr1 Sonntagsgedanken.

Musik

Am Vierten Advent wird in fast allen evangelischen Kirchen die Geschichte von Maria, der Mutter von Jesus, und ihrer Cousine Elisabeth erzählt. Dazu gehört auch eine starke Hymne, die die damals vermutlich etwa 15-jährige Maria singt, das Magnificat, ein revolutionäres Lied.

Gott schaut eine Magd an - ernsthaft?

Maria singt: "Meine Seele erhebt den Herren, und mein Geist freut sich über Gott, meinen Heiland, denn er hat die Niedrigkeit seiner Magd angesehen.“

Das war und ist tatsächlich eine Revolution. Gott schaut eine Magd an? Ernsthaft? Eine Magd? Ins Heute übersetzt könnte Maria eine Putzfrau sein oder eine Näherin in einer Fabrik.

Macht macht göttlich

Dazu muss man wissen: In der Antike hat Gottesnähe viel mit Macht zu tun. Herrschende fühlten sich dem Himmel näher als andere Menschen.

Und nicht nur das: Sowohl in der römischen als auch in der ägyptischen Kultur war es absolut üblich, dass Herrschende selbst wie Götter behandelt wurden – oder sich offiziell zu Göttern erklärt und verlangt haben, dass die Leute sie verehren.

In einer solchen Kultur hatte der Satz Marias echte Sprengkraft: "Gott hat die Niedrigkeit seiner Magd angesehen." 

Kurz gesagt: Bei diesem Gott zählen nicht Thron und Titel, Macht oder Renommee, sondern einfach nur der Mensch. Ansehen hat der, der angesehen wird.

Mehr Ansehen geht nicht

Und Maria singt: "Mich hat der Schöpfer des Himmels und der Erde angesehen." Also: Mehr Ansehen geht ja wohl nicht!

In ihrem Magnificat versammelt Maria viele bekannte Formulierungen aus den Heiligen Schriften des Judentums. Maria ist überzeugt: "Jetzt wird all das wahr, was uns prophezeit wurde. Jetzt zeigt Gott der Welt, dass bei ihm alle Menschen wertvoll sind."

Ein Gedanke, der natürlich auch gesellschaftliche Relevanz hat. Deshalb gehören zum Magnificat eben auch Zeilen wie: "Gott zerstreut die Selbstgerechten und erhebt die Niedrigen. Er stößt die Gewaltigen vom Thron." Sprich: Bei Gott sind irdische Privilegien bedeutungslos.

Insofern präzisiert das Magnificat tatsächlich die Weihnachtsbotschaft und zeigt: Dass Jesus unter einfachen Verhältnissen geboren wird, ist eine politische Botschaft.

Die Liebe zu den Menschen, für die Gott steht, hat nichts, aber auch gar nichts mit Äußerlichkeiten zu tun. Gott schaut nicht darauf, wie viel Macht, Reichtum oder Erfolg jemand hat. An der Krippe hat jede und jeder Platz.

Musik

Der Reformator Martin Luther war kein Freund der Heiligenverehrung. Und auch mit der Heiligen Maria, der Mutter Gottes, hat er sich schwergetan.

Trotzdem übersetzte er als einen der ersten Bibeltexte 1521 das Magnificat ins Deutsche, den Lobgesang der Maria – und schrieb dazu später euphorisch: "Es ist nur billig, dass man dies Lied noch lasse bleiben in der Kirche!"

Kein Wunder, das Magnificat hat nicht nur gesellschaftliche Sprengkraft. Es fasst auch einige der wichtigsten Gedanken des christlichen Glaubens zusammen.

Gottes Nähe ohne Eigenleistung

Wenn Maria singt: "Gott hat die Niedrigkeit seiner Magd angesehen", dann steckt darin ein großes Erstaunen. Gott hat sie auserwählt, obwohl sie dafür gar nichts getan hat. Einfach aus Liebe.

Ganz anders als im damaligen Denken. Die Menschen gingen davon aus, man müsse sich das Wohlwollen Gottes mit Opfern und korrektem Verhalten verdienen.

Im Unterschied dazu erlebt Maria die Nähe Gottes ohne jede Eigenleistung. Und diese Erfahrung überwältigt sie. Sie singt auch nicht "Ich lobe Gott", sondern „Meine Seele jubelt“.

Das Gefühl "Bin ich für irgendjemanden wichtig?"

Mit anderen Worten: "Ich kann gar nicht anders. Alles in mir jubelt, weil Gott zu mir gekommen ist." Das ist die Weihnachtserfahrung: Gott kommt in die Welt. Gott kommt zu mir. Ein Grund, mal wieder zu jubeln.

Und wenn Maria singt "Gott hat die Niedrigkeit seiner Magd angesehen", dann ist das zwar antike Sprache, aber zugleich ein zeitlos bewegendes Erlebnis.

Denn das Gefühl kenne ich auch: Werde ich überhaupt gesehen? Bin ich für irgendjemanden wichtig? Dann lautet Marias Ermutigung: "Ja, Gott sieht dich. Ihm bist du wichtig."

Maria 2.0

Und während wir öfter, als uns lieb ist, im Alltag Erniedrigung erfahren, ent-niedrigt Gott uns. Würdigt uns durch seine Zuwendung. Sieht uns an und gibt uns damit Ansehen.

Weihnachten feiern, heißt: diese revolutionäre Kraft neu entdecken. Das Magnificat der Maria ist ein Mutmach-Lied, ein Befreiungslied und ein Hoffnungslied.

Kein Wunder, dass sich einige kämpferische Katholikinnen als Gruppe den Namen "Maria 2.0" gegeben haben. Sie träumen von einer Kirche und einer Welt, in der alle Menschen diese Erfahrung Marias machen: "Gott hat Großes an mir getan!"

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