Essen hält Leib und Seele zusammen

Essen hält Leib und Seele zusammen

Ksenija Auksutat
Ein Beitrag von Ksenija Auksutat, Evangelische Pfarrerin, Stockstadt

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Mein Vater kocht leidenschaftlich gern. Er hat ein uraltes Kochbuch, das studiert er oft. Es stammt noch aus einer Zeit, als Gewichte noch mit Dekagramm angegeben wurden und Kochbücher ohne ein einziges Foto auskommen mussten. Als ich noch klein war, arbeiteten meine Eltern. Und so hatte mein Vater nur sonntags Zeit, um für unsere Familie zu kochen. Am Sonntagvormittag saß er dann immer lange in einem Sessel im Wohnzimmer und studierte das Rezept für das Essen, das er an diesem Tag für uns kochen wollte.

Weil es ja immer Sonntag war, wenn er darin las, nannten wir sein Kochbuch „Vatis Bibel“. Als es später mal ganz zerschlissen war, ließen wir Kinder es neu binden und haben als Titel in den Einband prägen lassen: Mirkos Bibel.

Beim Mittagessen saßen wir dann zu fünft um den Tisch. Es gab immer eine Suppe vorher und einen Nachtisch. Auf dem Tisch lag eine schöne Tischdecke, das versilberte Besteck lag neben den Tellern mit dem Goldrand. An jedem Platz lag eine Stoffserviette. Unter der Woche da gab es auch mal nur schnelle Eier-Ravioli aus der Dose. Aber am Sonntag, da genossen wir das gute Essen und unser Miteinander als Familie. Man saß und redete, hörte, was die anderen so machten und dachten. Eben eine Gemeinschaft.

„Essen hält Leib und Seele zusammen“, so sagt man, und: „Liebe geht durch den Magen.“ Zwei Volksweisheiten über Grundbedürfnisse des Menschen.

Vom Essen und Trinken ist darum auch an vielen Stellen in der „echten“ Bibel die Rede. Wenn vom Essen die Rede ist, geht es in der Bibel natürlich auch darum, wie man das Wenige so teilt, dass alle satt werden. Das Kochen war eine aufwändige Angelegenheit. Das braucht viel Zeit und Mühe. Und nicht immer gab es genug zu essen. Zu allen Zeiten haben Menschen sich etwas einfallen lassen müssen, damit alle satt werden.

Im Kern geht es bei den biblischen Berichten vom Essen vor allem darum, dass man beim Essen nicht alleine ist. Gegessen wurde immer in Gemeinschaft. Es war auch noch nicht verbreitet, auf dem Weg zur Arbeit einen schnellen Imbiss zu essen. Wenn Gäste kamen, wurden sie immer eingeladen und zuvorkommend bewirtet.  (1. Kön 17,10-16) Wenn Menschen ihr Essen teilen, geschieht etwas Wunderbares: Alle werden satt.

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Jesus setzte sich oft mit Leuten zusammen und hat mit ihnen gegessen. Seine erste Wundertat bestand darin, bei einer großen Hochzeitsfeier Wasser in Wein zu verwandeln. Im Johannesevangelium wird das überliefert. (Johannes 2,1-11)

Zwei Fische und fünf Brote reichten ihm, den Hunger von mehr als 5000 Menschen zu stillen. Sie waren an einem Seeufer zusammengekommen. Am Ende blieb sogar noch eine ganze Menge übrig, heißt es im Matthäus-Evangelium. (Matthäus 6,30-44)

Jesus ließ sich auch von umstrittenen Leuten einladen, wie dem Zolleinnehmer Zachäus. Der galt als Kollaborateur mit der römischen Besatzungsmacht. Aber Jesus kam in sein Haus und hat mit ihm gegessen. Das hat dazu geführt, dass der Zöllner seine Lebensweise komplett überdacht und umgekrempelt hat.

Jesus hat sogar das Reich Gottes mit einem großen Festessen verglichen. (Lukas 14,16-24) Essen und Trinken spielten für Jesus eine so große Rolle, dass ihn seine Gegner einen „Fresser und Weinsäufer“ nannten. (Matthäus 11,19)

Kein Wunder also, dass am Ende seines Lebens von einer gemeinsamen Mahlzeit die Rede ist, dem letzten Abendmahl. Jesus nimmt es zusammen mit seinen Jüngern ein. Bevor Jesus verraten und verhaftet wird, sitzen sie zusammen und essen. Vor der Mahlzeit sprach Jesus den Segen über das Brot und den Wein. (Matthäus 26,26-28) Jesus dankt zu Beginn des Mahles Gott für die Speisen, weil er weiß: Jeder braucht Essen, und es ist nicht selbstverständlich, genug zu essen zu haben.

Dann teilt er das erste Stück Brot und den ersten Schluck Wein mit seinen Freunden. Von den guten Gaben Gottes sollen alle bekommen, damit sie satt werden. Niemand soll unbedacht einfach zulangen, sondern aufmerksam darauf achten, dass alle versorgt sind. Jesus verbindet so die Menschen, die zusammen essen, in zwei Richtungen: untereinander und mit Gott. Darum bitten Christen im Vaterunser um „unser tägliches Brot“. „Unser Brot“ bedeutet, nicht nur einer allein, sondern alle Geschöpfe sollen satt werden.

Dieses Gebet von Jesus begleitet die Christenheit seit 2.000 Jahren. Nach seinem Tod waren die Freunde von Jesus völlig verstört, sie hatten Angst, ebenfalls verhaftet zu werden. Doch essen mussten sie trotzdem. Und da erinnerten sie sich an das letzte gemeinsame Mahl mit Jesus. Sie wiederholten einfach die Worte, die Jesus auch gesprochen hatte, bevor sie zusammen gegessen haben. So wurden sie untereinander und mit Gott verbunden. Es war, als ob Jesus bei ihnen wäre und sie seiner Kraft und Liebe stärkte.

Was sie erfahren haben, haben die christlichen Kirchen bewahrt. In ihren Gottesdiensten teilen die Menschen Brot und Wein.  (1. Korinther 11,23-25) Die Worte Jesu sind darin auch erhalten. Bevor Brot und Wein in der Kirche ausgeteilt werden, werden sie gesprochen. Menschen verbinden sich so  untereinander, mit Gott und mit Jesus.

So wird deutlich, was mit dem Abendmahl gemeint ist: Als Nelson Mandela aus dem Gefängnis frei gekommen war, hat man ihn gefragt: Was hat Ihnen Kraft gegeben hat, die lange Zeit der Gefangenschaft zu überstehen, ohne zu verzweifeln oder zu verbittern? Er hat geantwortet: „Ich verdanke meine Kraft dem Abendmahl in den Gottesdiensten, die wir auch im Gefängnis feiern durften.“ Die Erfahrung machen auch heute viele: Das Essen in der Kirche macht die Seele  satt. Es stärkt.

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Heute ernähren sich viele Menschen bewusst. Sie wollen gesunde Lebensmittel essen, die ihnen gut tun. Mehr Menschen achten auch darauf, dass sie ihr Essen nicht einfach gedankenlos in sich hinein schlingen. Sie genießen ihre Mahlzeiten bewusst, möglichst mit anderen gemeinsam.

Auch im Alltag kann man sich den Wert des Essens immer wieder bewusst machen. Vor der Hauptmahlzeit des Tages bete ich zum Beispiel. Auch wenn ich in einer Kantine oder einem Restaurant esse. Wenn ich Gäste habe, spreche ich meist laut für alle ein Tischgebet. „Alle guten Gaben, alles was wir haben, kommt o Gott von Dir. Wir danken Dir dafür.“ Ich erlebe, wie meine Gäste zuerst überrascht reagieren, als ob sie denken: „Ach ja, eine Pfarrerin, die muss ja beten.“ Doch später bekomme ich immer wieder mal gesagt: Die einfachen Worte haben mich bewegt.

Diese Geste verbindet auch heute die Menschen an einem Tisch miteinander und mit Gott. Es ist immer noch nicht selbstverständlich, dass alle genug zu essen haben. Es gibt arme Menschen hier, die sich bei den Tafeln mit Lebensmitteln versorgen müssen, weil ihnen das Geld für den Einkauf fehlt.

Dieses Innehalten vor einer Mahlzeit erinnert auch daran, dass wir unser Essen vielen Menschen weltweit verdanken. Den Kaffeebauern in Lateinamerika, den Bohnenpflückerinnen in Afrika, den Sojapflanzern in den USA. Der Auftrag zu teilen gilt nach wie vor. Während viele im Überfluss leben und Tonnen von Nahrungsmitteln im Müll landen, hungern anderswo Menschen – auch, weil wir von der Ernte ihrer Böden leben.

Ich weiß nicht, wie verbreitet es noch ist, am Sonntag den Braten aufzutischen und als Familie am schön gedeckten Tisch im Sonntagsstaat zusammen zu kommen. Schon immer waren Tischgemeinschaften ein Ort für Gespräche. Nicht immer geht es harmonisch zu. Da treffen unterschiedliche Lebensstile aufeinander und  Überzeugungen. Das war früher bei uns zuhause so, als wir oft über Kleiderordnungen und die Startbahn West gestritten haben. Das bleibt auch heute so: Tische verbinden auch dort, wo wir uns auseinandersetzen und Meinungen diskutieren.

Ich freue mich, dass das so geblieben ist: Die Lust am schönen Essen in der Gemeinschaft und daran, sich mit anderen auseinanderzusetzen. Wenn mein Vater uns zum Essen einlädt, kommen wir Kinder bis heute gerne. Dann ist der Tisch schön gedeckt. Das Tischgebet gehört inzwischen auch dazu. Meine Mutter hat sich vor ein paar Jahren ein eigenes Familien-Tischgebet ausgedacht: „Das Licht im Haus, die offene Tür, der Tisch gedeckt, ein Platz ist frei. Das deutet an, das deutet an, dass doch noch einer kommen kann: Komm Herr Jesus, sei unser Gast und segne, was du uns bescheret hast“ – dieses Gebet darf nicht mehr fehlen. Und dann lassen wir es uns schmecken. Gesegnete Mahlzeit!

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