Engagiert – aber nicht für lau
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Engagiert – aber nicht für lau

Helmut Wöllenstein
Ein Beitrag von Helmut Wöllenstein, Evangelischer Pfarrer, Marburg

Ina lebt in einer kleinen Stadt. Morgens um acht startet sie ihre Tour. Mobile häusliche Altenpflege in der Diakonie. Ihren ersten Besuch macht sie bei Herrn Bergmann. Seit seinem zweiten Schlaganfall liegt der 84 Jährige im Bett. Morgens vor der Arbeit versorgt ihn die Tochter. Um halb neun kommt Ina. Sie begrüßt Herrn Bergmann, fragt, wie es geht. Er ist zufrieden, die Tränen kommen ihm, wenn er das sagt. Ina weiß, das gehört zu seiner Krankheit. Lange kann sie nicht mit ihm reden, sie muss Herrn Bergmann waschen, einreiben, frisch anziehen, das Bett machen. Herr Bergmann ist schwer, sie muss ihn heben und drehen. Ina ist drahtig und flink, jeder Handgriff sitzt. Doch schon jetzt spürt sie ihren Rücken. Morgens um neun, als sie sich ihre Notizen macht für die Dokumentation. Zweite Station Frau Orth, 78. Die ist leichter, aber verwirrt. Ihr Mann wohnt mit ihr zusammen. Der kümmert sich um das Nötigste. Ina hört ihm zu, während sie Frau Orths offene Beine versorgt. 7 Stationen hat sie am Vormittag, sie muss sich beeilen. Trotzdem macht ihr die Arbeit Spaß. Sie mag den direkten Kontakt zu den Menschen. Meistens kommt sie fröhlich von der Arbeit. Eigentlich hat sie eine andere Ausbildung. Doch sie will keinen Bürojob, selbst wenn sie deutlich mehr verdienen könnte.

Was ihr fehlt, ist mehr Zeit für die Menschen. Sie kann nur das Nötigste machen, und das wird genau vorgeschrieben. Duschen, waschen, saubermachen, füttern, pflegen. Dabei sieht sie, was sich die Menschen eigentlich wünschen. Dass jemand einen Augenblick bei ihnen bleibt, zuhört, etwas vorliest. Zusammen das Fotoalbum anschaut. Aber wo sollen dafür das Geld und die Kräfte herkommen?

Pflegeberufe müssen aufgewertet werden. Im öffentlichen Ansehen und in der Bezahlung. Ina bekommt 8,60 Euro die Stunde – brutto. Ist es gerecht, dass jemand ein Vielfaches verdient, der Autos verkauft oder Leute animiert, sich das neueste Smartphone, den neuesten Flachbildschirm zu kaufen? Eins ist klar: Viele von uns werden alt. Und viele werden Hilfe brauchen. Dürfen wir es zulassen, dass die Pflege von Menschen allein als Dienstleistung angesehen und den Marktgesetzen unterworfen wird: der billigste hat die meisten Kunden? Es ist Zeit umzusteuern. Die Politik ist gefragt, die Pflegekassen, die Sozialhilfeträger – aber letztlich stehen wir alle in der Verantwortung. Es geht nicht darum, mehr Geld ausgeben. Es geht darum, aufzupassen, wem wir unser Geld geben und für was. Wer Respekt verdient und einen anständigen Lohn, sollte ihn auch bekommen.

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