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Kirchen feiern ökumenischen Tag der Schöpfung - Sinn oder Unsinn?
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Kirchen feiern ökumenischen Tag der Schöpfung - Sinn oder Unsinn?

Ein Beitrag von Helga Trösken, evangelische Pfarrerin im Ruhestand, Frankfurt am Main

Beten und Gottesdienst feiern in einer Grube, in der sonst nach Fossilien gegraben wird – das klingt ungewöhnlich. Auch wenn es eine besondere Grube ist, die Grube Messel bei Darmstadt. Sie ist Weltnaturerbe, weil dort so viel über die Entstehung der Arten gefunden wurde wie sonst an kaum einem anderen Ausgrabungsort. In der Grube Messel ist vorgestern ein ökumenischer Gottesdienst gefeiert worden zum „Tag der Schöpfung“.

Beim Zweiten Ökumenischen Kirchentag in München 2010 wurde der „Ökumenische Tag der Schöpfung“ ausgerufen. Jeweils am ersten Freitag im September, spätestens am 8. Oktober soll er gefeiert werden. Christen und Christinnen beten da, dass die Schöpfung bewahrt wird. Sie loben den Schöpfer und finden – so hoffen sie - miteinander den Mut, konkrete Schritte zu tun.

Der Zeitraum September, Oktober ist so gewählt, weil der 1. September in den orthodoxen Kirchen traditionell als Gebetstag für die Bewahrung der Schöpfung gefeiert wird und der 8. Oktober der Gedenktag des Franz von Assissi ist, des Heiligen, dem wir wunderbare Gedichte und Lieder über die Schöpfung, die Sonne, die Tiere, die Natur verdanken.

Vorgestern also wurde zentral für Hessen der ökumenische Tag der Schöpfung in der Grube Messel gefeiert. Ein Ort, der einzigartige Einblicke in Jahrtausende Erdgeschichte ermöglicht. Die fossilen Funde in der Schiefergrube sind einmalig und immer wieder überraschend. Niemand weiß, was noch zutage kommt, nachdem dort vor Jahren das sogenannte Urpferdchen gefunden wurde.

Ein „Tag der Schöpfung“ am Ort uralter Naturgeschichte regt sicherlich an, über die Wurzeln unseres Lebens nachzudenken und die Bedingungen, wie wir ihnen in Zukunft gerecht werden können. Doch: ein spezieller Tag der Schöpfung im liturgischen Kalender der Kirchen – was unterscheidet oder verbindet ihn mit den vielen Tagen, die die Vereinten Nationen besonderen Themen gewidmet haben? Da gibt es zum Beispiel den „Tag der biologischen Artenvielfalt“, den „Tag des Wassers“, den „Tag der Bäume“, den „Tag der Berge“.

Was soll ein „ökumenischer Tag der Schöpfung“? Was gibt es, was nicht längst gesagt, geschrieben, beschlossen wurde?

Musik:Johann Caspar Kerll, Capriccio Sopra il Cucu

Ein Rückblick: Vor 40 Jahren, 1972, erschien das Buch „Die Grenzen des Wachstums“. Zum ersten Mal wurde die globale Perspektive untersucht, was geschieht, wenn der westliche Lebensstil weiter wächst; was geschieht, wenn der Verbrauch natürlicher Ressourcen so rücksichtslos bleibt; was geschieht, wenn nur ökonomische Gesetze, nicht aber andere Werte wie zum Beispiel soziale Gerechtigkeit gelten. Denn: Es gibt nur eine Erde für die ganze Menschheit. Deshalb der Appell zu nachhaltiger Entwicklung, zu sozialer Gerechtigkeit und Bewahrung der natürlichen Umwelt.

Das Buch hat viele Menschen aufgerüttelt und zum Nachdenken gebracht. „Umwelt“, „Ökologie“ wurde zum neuen Thema, bald auch einer neu gegründeten Partei. In den Kirchen wurde das Thema an vielen Orten mit kleineren Initiativen aufgegriffen, und schließlich begann 1983 der „Konziliare Prozess für Gerechtigkeit, Frieden und die Bewahrung der Schöpfung“. Bei der abschließenden Ökumenischen Weltversammlung in Seoul, Südkorea, wurden „Grundüberzeugungen“ aller Kirchen verabschiedet. Zur Schöpfung heißt es:

Wir bekräftigen, dass Gott die Schöpfung liebt. Gott, der Schöpfer, ist der Ursprung und der Erhalter des ganzen Kosmos. Gott liebt die Schöpfung…Da die Schöpfung von Gott ist und seine Güte die ganze Schöpfung durchdringt, sollen wir alles Leben heilig halten…
Wir bekräftigen, dass die Welt als Gottes Werk eine eigene Ganzheit besitzt und dass Land, Wasser, Luft, Wälder, Berge und alle Geschöpfe, einschließlich der Menschen, in Gottes Augen ‚gut‘ sind.
Wir bekräftigen, dass die Erde Gott gehört. Das Land und die Gewässer bedeuten Leben für die Menschen…
Wir bekräftigen deshalb, dass das Land Gott gehört. Der Mensch soll Boden und Gewässer so nutzen, dass die Erde regelmäßig ihre lebensspendende Kraft wieder herstellen kann, dass ihre Unversehrtheit geschützt wird und dass die Tiere und Lebewesen den Raum zum Leben haben, den sie brauchen. Wir werden jeder Politik widerstehen, die Land als bloße Ware behandelt…
Wir verpflichten uns zur Solidarität mit den Urvölkern, die um ihre Kultur, ihre Spiritualität und ihre Rechte auf Grund und Boden sowie auf Gewässer kämpfen.
Wir verpflichten uns zur Solidarität mit Landarbeitern und armen Bauern, die sich für eine Bodenreform einsetzen, sowie mit den Saisonlandarbeitern.
Wir verpflichten uns außerdem, den ökologisch notwendigen Lebensraum anderer Lebewesen zu achten.


Kaum übersehbar sind seither die kirchlichen Worte, Texte, Beschlüsse zum Thema „Bewahrung der Schöpfung“ allein in Deutschland. Kaum eine Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland, kein Treffen der römisch-katholischen Bischofskonferenz ohne Texte dazu. Die „Woche für das Leben“, Kirchen- und Katholikentage, Akademietagungen beschäftigen sich damit und kommen zu immer denselben Aussagen.

Es scheint alles gesagt, zuletzt anlässlich der Konferenz in Rio diesen Sommer. Viele Menschen in aller Welt hatten gehofft, dass die Staaten der Welt sich einigen würden, dem Klimaschutz Priorität zu geben. Auch die Kirchen hatten die Delegierten ermutigt, manche hatten sogar Beobachter geschickt, die direkte Unterstützung anboten. Doch auch da – nichtssagende Worte, mühsame Texte, Kompromisse, die nichts ändern. Was also kann, was soll ein ökumenischer Tag der Schöpfung? Das Besondere ist ja, dass dort Menschen miteinander beten. Kann das gemeinsame Gebet zum gemeinsamen Handeln führen?

Musik:Georg Philipp Telemann, Der Abend: Vom Aufgang bis zum Niedergang, aus: Die Tageszeiten

Beim ökumenischen Tag der Schöpfung beten Menschen miteinander. Sie loben Gott, den Schöpfer. Sie danken für unsere wunderbare Welt. Sie bitten um Vergebung für alles, was Menschen der Schöpfung antun, und sie bitten um Kraft für nachhaltiges Handeln. Sie nehmen ins Gebet den ganzen Irrsinn der Entwicklung: Dass zwar längst alles bekannt und gesagt ist, was zur Bewahrung der Schöpfung nötig ist, dass aber viel zu wenig getan wird. Sie nehmen ins Gebet die Schreie, die Klage derer, die leiden an der Zerstörung unserer natürlichen Welt. Sie nehmen ins Gebet den Widerspruch von Reden und Tun.

Sie beten in der festen Überzeugung: Es wird niemals umsonst gebetet. Es gibt zwar keine Garantie, dass Gott uns hört, aber jedes Gebet hat Wirkungen nach innen und nach außen. Wie und was wir beten, bringt zum Ausdruck, was wir glauben. Gott erfüllt nicht alle unsere Wünsche, aber alle seine Verheißungen, hat Dietrich Bonhoeffer einmal gesagt. Und Martin Luther rät: „Du musst Gott im Gebet die Ohren reiben, bis sie heiß werden“. Deshalb darf das Gebet nicht aufhören. Wir müssen dranbleiben und dabei hoffen und erwarten, dass Gott handeln wird.

Das Gebet hat eine geheimnisvolle Kraft, die ich nicht erklären kann. Wenn ich bete, aktiviere ich auch mich selbst, etwas zu tun für die Menschen oder die Verhältnisse, die ich benenne. So macht es Sinn, für Frieden, Gerechtigkeit und die Bewahrung der Schöpfung zu beten. Dabei wird mehr in Gang gesetzt, auch verändert als durch noch so wohl durchdachte Stellungnahmen, Appelle und Erklärungen. Von Jesus lerne ich, dass das Gebet einerseits die intime Atmosphäre, den Rückzug ins „Kämmerchen“ und die Stille braucht, andrerseits aber in die Öffentlichkeit gehört.

Das praktizieren wir ganz oft, vor allem bei Unglücken, die viele Menschen betreffen und erschüttern. Gebete waren selbstverständlich nach dem 11. September, nach den Attentaten in Schulen oder in Norwegen. Genauso selbstverständlich wird es nun für Christen und Christinnen aller Kirchen werden, in aller Öffentlichkeit die bedrohliche Lage der Schöpfung ins Gebet zu nehmen. Und daraus werden Möglichkeiten erwachsen, wie wir die Schöpfung bewahren können. Wir werden Möglichkeiten zum Handeln entdecken - im eigenen Umfeld und global.

Ein Beispiel ist für mich die Schülerinitiative „Plant for the Planet“, „Pflanzen für den Planeten“, die der damals neunjährige Schüler Felix Finkbeiner aus Starnberg begonnen hat. Seine Vision: Kinder in jedem Land pflanzen eine Million Bäume, um den tödlichen CO2 –Ausstoß zu begrenzen und zu kompensieren. Die Idee begeisterte Kinder auf der ganzen Welt und hat eine beispiellose Kampagne in Gang gesetzt. Bis heute sind etwa 12 Millionen Bäume gepflanzt worden. Großes Vorbild war die kenianische Friedensnobelpreisträgerin Wangari Maathai, die mit ihrer „Green Belt Movement“ ungefähr 30 Millionen Bäume in Afrika gepflanzt hat. Die Initiative von Felix und den Schülern und Schülerinnen heißt inzwischen: „Stop talking – start planting“. Hört auf zu reden, fangt an zu pflanzen.

Sie haben schon manchen Prominenten den Mund zugehalten und sie zum Bäumepflanzen bewegt, auch neulich die Moderatorin und den Moderator einer Talkshow oder Delegierte der Vollversammlung der Vereinten Nationen in New York, wo Felix die Initiative vorstellen durfte. Unterstützung bekommen die Schüler und Schülerinnen manchmal auch überraschend. So hat ein bekannter Süßwaren Hersteller sich verpflichtet, 0,01% des Firmenumsatzes zu spenden, damit die Kinder Bäume pflanzen können.

Musik:Ottorino Resphigi, aus: Gli uccelli Il cuccù

Ein ökumenischer Tag der Schöpfung – vielleicht kann er auf die gleiche Art Wirkung entfalten wie Felix: Wir halten den Mund und fangen an, etwas zu tun, was der Nachhaltigkeit, dem Klimaschutz, der Umwelt dient, wovon die vielen kirchlichen Worte sagen. Oder wir halten den Mund und lesen noch einmal neu, was uns Gott zu sagen hat. Oder wir halten den Mund, weil Beten mit Händen und Füßen angesagt ist. Ein ökumenischer Tag der Schöpfung, der den Lobpreis Gottes, das Beten und die Ermutigung zu konkreten Schritten zum Inhalt hat, kann Sinn machen. Er muss nicht scheitern, auch wenn manche Erfahrung gegen ihn spricht. Für den Ökumenischen Tag der Schöpfung in diesem Jahr wurde als Motto gewählt: „Jetzt wächst Neues“. Der Bibeltext dazu steht beim Propheten Jesaja:

Gedenkt nicht an das Frühere und achtet nicht auf das Vorige! Denn, siehe, ich will ein Neues schaffen, jetzt wächst es auf, erkennt ihr’s denn nicht? Ich mache einen Weg in der Wüste und Wasserströme in der Einöde. Das Wild des Feldes preist mich, die Schakale und Strauße; denn ich will in der Wüste Wasser und in der Einöde Ströme geben, zu tränken mein Volk, meine Auserwählten: das Volk, das ich mir bereitet habe, soll meinen Ruhm verkündigen.
(Jesaja 43, 18- 21)

Der Prophet findet starke Bilder für das Neue, das er kommen sieht. Bilder, die etwas Utopisches haben: Wasserströme in der Wüste, Schakale und Strauße einträchtig beieinander, um Gott zu loben. Und vor allem: der Keim von etwas Neuem. Einem Keim kann man nicht ansehen, was daraus werden wird. Man kann wenig dazu tun, dass er wächst. Man kann ihn beobachten, kann hoffen, dass Gutes wird.

Neues wächst, weil Gott Neues schafft. So einfach sieht der Prophet die Zukunft und so revolutionär zugleich. Denn bis dahin wurde Gott, der Schöpfer so verstanden, wie wir ihn meist auch verstehen, als der Schöpfer des Himmels und der Erde mit allen Kreaturen, als Schöpfer von Natur und Welt und Menschen. Gott der Schöpfer, der den Menschen die Erde anvertraut hat, dass sie sie bebauen und bewahren.

Das neue Verständnis: Gott begnügt sich nicht mit der Erschaffung der Natur und der Kreatur. Er ist auch der Schöpfer der Geschichte. Er sät die Keime für die je neue Geschichte, die ganz erstaunlich aussehen wird. Wasserströme in der Wüste sorgen für Leben, wo nur Tod möglich schien. Tiere leben miteinander im Frieden, die eigentlich nur Feinde sein müssten.

Das Neue überbietet das Alte. Deshalb ist der Rückblick auf die Vergangenheit nur die halbe Wahrheit. Gott hat Israel zwar aus Ägypten befreit und ins eigene Land einwandern lassen, aber jetzt sorgt er erneut dafür, dass die Wüste bewohnbar wird. „Gedenkt nicht an das Frühere und achtet nicht auf das Vorige!“ Das ist eine revolutionäre Sicht der Geschichte. Übrigens auch für heutiges Denken! Gerade wenn wir uns mit der Zukunft beschäftigen, wenn wir Sorge tragen um die Bewahrung der Schöpfung angesichts von Klimawandel, Ausbeutung der natürlichen Lebensgrundlagen, Hunger, Kriegen und Zerstörung – wir stoßen immer wieder auf die Vergangenheit, vor allem die Sünden und Fehler, die Menschen gemacht haben.

Wir müssen doch geradezu auf das Vorige achten, um das Heutige überhaupt verstehen zu können. Also ein Einspruch gegen den Propheten, der sagt: „Gedenkt nicht an das Frühere!“ Wenn ich dem Propheten Jesaja widerspreche, dann weil ich spüre: Ich traue dem Gottesbild nicht. Es ist mir zu gewaltig. Es enthält zu viel Hoffnung. Ich kann nicht glauben, dass Gott uns wirklich noch Chancen gibt, dass er eine neue Geschichte schaffen will. Eine Geschichte des Lebens und Überlebens. Eine Geschichte voller Gerechtigkeit und Liebe. Eine Geschichte, die neu beginnen kann, weil Keime der Hoffnung bereits gesät sind.

Musik:Helmut Brand, Geh aus mein Herz und suche Freud

Ich widerspreche dem Propheten, aber gleichzeitig bin ich berührt, ja fasziniert von seiner Vision. Ich möchte diesem Gott trauen, der so großzügig Neues wachsen lässt. Ich möchte die Keime der Hoffnung wachsen sehen. Sie werden in die Erde gelegt, und Neues wird daraus wachsen. Vielleicht gelingt es ja beim ökumenischen Tag der Schöpfung, dass wir einander ermutigen, gegen alle Einwände auf das Neue zu setzen, das Gott verspricht. Vielleicht stärkt das gemeinsame Beten die Hoffnung. Denn so viel ist auch sicher: Wir haben nicht mehr viele Möglichkeiten, das Neue selber zu gestalten. Die Spannungen in unserer Welt sind bedrohlich geworden, die Spannungen beim Kampf um Ressourcen. Stichworte dazu: Nahrungsmittel gegen Ökosprit. Spekulation an den Börsen mit Grund und Boden der ärmsten Länder. Wer bekommt sauberes Wasser?

Es geht um Lebenschancen und Gerechtigkeit, wenn wir Gott, den Schöpfer loben und seinen Verheißungen trauen wollen. Er wird Neues schaffen, ungeachtet des Vorigen. Doch bleibt es dabei: Ein ungebrochenes Lob des Schöpfers ist uns versagt. Wir glauben und zweifeln immer gleichzeitig. Wir sehen die Schönheit und die Gebrochenheit, ahnen im Positiven das Negative und können nicht ausblenden, dass Gott der Schöpfer von Natur und Geschichte uns die Freiheit zu Gutem und Bösem gelassen hat. Das gemeinsame Gebet beim ökumenischen Tag der Schöpfung macht Sinn trotz aller Einwände, weil es unsere Hoffnung stärken kann. „Jetzt wächst Neues“.

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