„So Gott will und wir leben“ - Zum Zugunglück bei Mühlheim/Main
Wer ist verantwortlich für das Zugunglück bei Mühlheim? Diese Frage beschäftigt zurzeit nicht nur die Fachleute. Aber müssen wir nicht damit leben, dass Menschen Sicherheit nie perfekt herstellen können, fragt Hans Erich Thomé in seinem Zuspruch.
Wenn die Einschläge von Unglücken und Katastrophen einem räumlich so nahe kommen wie in der vorletzten Nacht, tun sie besonders weh. Viele Menschen im Kreis Offenbach und weit darüber hinaus haben das gestern erlebt: Auf der Fahrt zum Arbeitsplatz. Beim Hören der Nachrichten. Angesichts der Bilder in den Medien. Und manchen ist das Zugunglück bei Mühlheim am Main noch näher gekommen. Sie sind tief erleichtert, weil ihr Angehöriger lebt. Oder weil sie in einem anderen Zug saßen. Andere sind endlos traurig, weil sie einen Menschen aus ihrer Familie oder einen Freund verloren haben.
Ich bin weiter weg von Mühlheim. Trotzdem ist mir wieder einmal deutlich geworden, was ich an guten Tagen gerne und häufig verdränge: Es gehört nicht zu unserem menschlichen Repertoire, vollkommene Sicherheit herzustellen, alle Unwägbarkeiten des Lebens einer lückenlosen Kontrolle zu unterziehen und sie damit auszumerzen.
So wichtig es ist, dass Menschen alles tun, um Unglücke und Katastrophen zu vermeiden, so sehr sie Geräte und Automaten einsetzen, um die menschliche Aufmerksamkeit zu ergänzen und zu entlasten: Es bleibt ein unverfügbarer Rest. Das gilt für das Kind, das mit seinem Fahrrad durch ein Wohngebiet fährt. Das gilt für ein Atomkraftwerk hier und anderswo in der Welt. Das gilt für alle Lebensbereiche. Wir müssen wohl oder übel mit einem grundsätzlichen Vorbehalt leben: Menschen können Sicherheit nicht herstellen und nicht garantieren.
Meine Oma hatte diesen Vorbehalt immer im Kopf und immer im Herzen. Wenn sie etwas versprach, verband sie ihr „Ja“ mit dem Satz: „So Gott will und wir leben.“ Als Kind empfand ich das manchmal als eine Formel, so daher gesagt. Eigentlich überflüssig. Inzwischen erkenne ich den tiefen Sinn dieses Satzes. Er kann uns davor bewahren, dass wir uns übernehmen mit einem Übermaß an Verantwortung. Und dann auch darunter zusammen brechen. Diese Worte – im Kopf und im Herzen – entlasten in einem guten Sinn: So Gott will und wir leben.