Warten wie die Amaryllis
Wenn man mir vor ein paar Monaten gesagt hätte, dass ich mit meinen 30 Jahren zum ersten Mal einer Blume beim Wachsen zusehe, ich jeden Millimeter genauestens beobachte und mich das richtig berührt – ich hätte nur wohlwollend gelächelt und diese Vorhersage nicht ganz ernst genommen. Was soll an einer Topfblume schon so besonders sein, dass sie sich meiner Aufmerksamkeit jeden Tag sicher sein kann? Doch es kam anders, denn plötzlich stand sie da: meine erste Amaryllis.
Wachsen und geduldiges Warten
Ein unscheinbarer grüner Stiel, ein bisschen Erde, ein Topf: mehr nicht. Und doch: Jeden Morgen schaue nun ich zuerst zu ihr, noch bevor ich die Kaffeemaschine anstelle. Zentimeter um Zentimeter schiebt sie sich nach oben, fast trotzig, als wolle sie sagen: „Hab Geduld. Da kommt noch etwas.“ Ich merke: Diese Blume lehrt mich etwas, das wir im Advent eigentlich alle neu lernen könnten: das Warten. Nicht dieses ungeduldige Warten, das wir aus dem Alltag kennen - nicht das an der Supermarktkasse oder an der Ampel. Nein, es ist dieses erwartungsvolle, hoffnungsvolle Warten.
Advent, Weihnachten und Hoffnung
Ein Warten, das mir sagt: Das Gute ist schon unterwegs. Die Amaryllis wächst im Verborgenen. Und ich frage mich: Wie oft wächst in meinem Leben etwas, ohne dass ich es gleich sehe? Ein Funke Mut, ein neuer Anfang, ein Stück Vertrauen. Gott wirkt oft leise – aber er wirkt. Genau wie meine Amaryllis. Ich weiß nicht genau, wann. Aber ich weiß: Es wird schön, ihre ganze Pracht wird sie entfalten, ihre Schönheit wird mich berühren. Und genau diese Vorfreude auf das, was da kommen wird, erinnert mich an Weihnachten: Gott kommt. Nicht laut, nicht plötzlich, aber verlässlich, zart – und voller Leben. Vielleicht ist Advent genau das: lernen, wieder staunen zu dürfen. Und geduldig darauf zu warten, dass etwas aufblüht – in einem Blumentopf und vielleicht auch in mir.