hr2 ZUSPRUCH
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Lang, Paul

Eine Sendung von

Diakon und Lehrer für Latein, Musik und Religion in Amöneburg

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Die Erdspalte von Korbach

Ein Schild am Ortsrand macht mich neugierig: "Zur Erdspalte" steht darauf. Was ist eine Erdspalte? Es gibt Geysire. Das sind heiße Quellen, die immer wieder Wasser aus der Tiefe der Erde ausspeien. Aber ein Geysir ist keine Erdspalte, denke ich.

Was ist eine Erdspalte? Das Schild in Korbach in Nordhessen beflügelt meine Fantasie. Die antike Mythologie, die Sagen der Griechen und Römer blicken fasziniert und zugleich voller Schauder auf Zugänge zur Unterwelt: Helden wie Orpheus, Odysseus, Aeneas müssen sie bezwingen.

Ich folge der Beschilderung und erreiche die Attraktion der Stadt. Auf einer Infotafel erfahre ich, um was es geht: Vor 250 Millionen Jahren, haben Forscher herausgefunden, hat sich hier im ursprünglichen Gestein eine Spalte gebildet. Im Laufe von gewaltigen Zeiträumen haben sich darin zahllose Wirbeltiere abgelagert. Sie werden heute als Fossilien geborgen und erforscht. Die Erdspalte von Korbach - also kein Tor in ungewisse Tiefen; aber doch ein Zugang in die Urgeschichte der Erde.

Die Erde tue sich auf

"Die Erde tue sich auf und bringe das Heil hervor!" An dieses Wort aus dem Jesaja-Buch in der Bibel muss ich dabei denken. Die Tiefen der Erde haben Menschen zu allen Zeiten bewegt. Noch Jules Verne lässt seine Helden zum Mittelpunkt der Erde reisen.

Wie meint Jesaja, der Prophet, das mit dem Auftun der Erde, dem Hervorbringen des Heils? Dieses Bild taucht jetzt, in den Tagen des Advents, der Zeit vor Weihnachten, immer wieder in alten Liedern auf. Der Retter soll kommen! Sein Erwarten verbinden Christen mit dem Weihnachtsfest.

Friedrich Spee, ein Theologe, Jesuit und geistlicher Dichter, verarbeitet den Gedanken im 17. Jahrhundert in einem Lied: "O Erd schlag aus, schlag aus, o Erd, dass Berg und Tal grün alles werd. O Erd herfür dies Blümlein bring, o Heiland, aus der Erden spring." Ganz anders die ersten beiden Strophen seines Liedes: "Taut, ihr Himmel von oben!" - "Ihr Wolken brecht und regnet aus den König über Jakobs Haus!" Auch das: Prophezeiung des Propheten Jesaja.

Oben und unten

Oben und unten - Himmel, Wolken auf der einen, Erde auf der anderen Seite - scheinbar widersprüchlich: Jesaja ist so gepackt von der Sehnsucht nach Erlösung, dass es ihm gleichgültig ist, woher sie eigentlich kommt, wenn sie nur kommt! Selbst aus der Tiefe!

Mir gefällt diese Heftigkeit: Die Erde umfasst keine düstere Unterwelt. Erde ist Quelle des Lebens. Aus ihr sprießt das Lebendige hervor. Und der Himmel mit seinen Wolken bedeutet ebenso Leben. Das Wasser, das die Wolken herabregnen, ist Leben.

Schlösser und Riegel

Himmel und Erde, oben und unten sind uns freundlich gesinnt, sie sind Quellen des Lebens, des Heils, des Guten. Mag sein, dass unsere Welt nicht oder nicht mehr heil ist. Aber sie ist heilbar. Dazu kann ich beitragen. Auch so verstehe ich Advent: Die Bitte um das Kommen von Rettung schließt meine Bereitschaft ein, nach Kräften mitzuhelfen bei diesem Heilungsprozess. Vielleicht sind die "Schlösser und Riegel", die der Heiland in Spees Lied abreißen soll, die Barrieren in meinem eigenen Denken und Tun.