hr4 ÜBRIGENS
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Straub, Jochen

Ein Sendung von

Seelsorge für Menschen mit Behinderung im Bistum Limburg

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Leise Kritik

Vor einiger Zeit war ich in einem Café zum Frühstücken. Meine Frau und ich saßen an unserem Tisch, gedeckt mit lauter Köstlichkeiten. Wir haben uns auf ein ruhiges und gemütliches Frühstück gefreut. Da hat sich an den Nebentisch eine Gruppe von vier Männern gesetzt. Sie wollten offensichtlich zu einer Tagung in einem der Nachbarhäuser und unterhielten sich lautstark. Einer war besser als der andere und einer war lauter als der andere. Wir konnten uns den Herren und ihrem Gespräch nicht entziehen.

Ein unscheinbarer Mann kommt dazu

Und dann ist ein weiterer Mann dazugekommen. Er war klein und unscheinbar. Er sprach ganz leise. Frühstücken, etwas essen oder trinken wollte er nicht. Das hatte er schon hinter sich. Er wollte jetzt in den Seminarraum und seinen Vortrag vorbereiten. Das sagte er höflich, unaufdringlich und ganz klar. Die anderen bezahlten und die Gruppe brach auf. Im Hinausgehen sagte der leise Mann – aber doch hörbar - zu einem aus der Gruppe: „Ich werde Sie übrigens gleich sanft kritisieren – Sie werden es kaum merken“.

Dieser Satz beeindruckt mich bis heute. Und er beschämte mich zugleich. War ich doch kurz davor, mich bei der lauten Gruppe der Männer zu beschweren.

Die Bibel sagt, wir sollen uns gegenseitig ermahnen

In der Bibel steht ganz oft geschrieben, dass wir uns gegenseitig ermahnen sollen. Zwar klingt das alte Wort „ermahnen“ nicht sehr liebevoll, aber der Grundgedanke stimmt: Manchmal bin ich wirklich blind für die Probleme im eigenen Leben und kann die Perspektive von außen gut gebrauchen – wenn sie sorgsam kommuniziert wird.

„Ich werde Sie übrigens gleich sanft kritisieren – Sie werden es kaum merken“. Das versuche ich seit diesem Frühstück immer wieder. Ich merke: Das wird mehr gehört, als jeder laute Protest und jede starke Gegeninszenierung.