hr4 ÜBRIGENS
hr4
Becker, Michael

Ein Sendung von

Evangelischer Pfarrer, Kassel

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Die Schrift an der Wand

Plötzlich hält der Zug. Auf freier Strecke. Wir stehen an einem Bahnhof, wo sonst nichts mehr hält. Unkraut wächst aus den Gleisen. Ein Haus aus Brettern ist verwittert. Jemand hat etwas ans Haus geschrieben. In roten Buchstaben. Da steht: Gewonnen hat der mit dem größten Grabstein. Ich lese und verstehe nicht. Dann lese ich nochmal: Gewonnen hat der mit dem größten Grabstein. Das ist mehr als ein Witz. Es heißt: Du musst doch sterben. Was rennst du dich ab im Leben… mehr als ein großer Grabstein ist für dich auch nicht drin. Jemand ist wohl in der Nacht mit Farbe und Pinsel zum alten Bahnhof gegangen und hat das geschrieben. Wer vorbeikommt, kann es lesen. Soll es lesen.

Am Ende wartet doch der Friedhof

Es kann nicht falsch sein, daran zu denken: am Ende wartet der Friedhof. Es gibt viele Pläne, Wünsche und Sorgen. Es gibt Kämpfe um den besten Platz. Ums Beliebt sein auch. Das darf sein. Am Ende wartet aber doch der Friedhof. Klug ist, wer sich daran erinnern lässt durch rote Buchstaben auf dem alten Haus. Der Zug steht immer noch. Draußen sieht es ungemütlich aus. Im Zug ist es warm. Wenn nur die Buchstaben nicht wären: Gewonnen hat der mit dem größten Grabstein. Wie ein Zeichen ist das. Von weither. Vergiss nicht, wie alles endet.

Du bist nicht Herr deines Lebens

Als der Zug wieder fährt, bleibt mir die Schrift im Sinn. Manchmal ist etwas einfach so da, denke ich. Tippt mich leicht an, wie von weither. Und sagt leise: Denk dran; du bist nicht Herr deines Lebens.