Fühlen, wer uns liebt

Das Schönste, was ich gehört habe - davon erzählt mir Hanna, die Altenpflegerin. Es war vor genau einer Woche, sagt sie. Da war sie gerade bei dem alten Ehepaar. Deren Sinne sind durcheinander. Manchmal mehr, manchmal weniger. In letzter Zeit mehr. Hanna kommt ins Zimmer, sagt sie. Das Paar streitet ein bisschen. Mit Humor. Er will noch liegen bleiben, sie will zum Frühstück. Die Frau drängelt, der Mann trödelt. Hanna will ein bisschen aufmuntern. Da zeigt die Frau auf einmal auf ihren Mann und sagt: Ich weiß seinen Namen nicht. Aber ich weiß, dass er mich liebt und immer auf mich achtgibt.

​Hanna bleibt kurz der Mund offen stehen. Das ist das Schönste, was ich je gehört habe von einem dementen Menschen, sagt sie. Da ist oft soviel Vergessen - aber dann diese eine, große Erinnerung: an die Liebe, an den Schutz. Ein Wunder. Der Name und der Ort und das Frühstück -alles weg oder durcheinander. Aber das Gefühl ist noch da: Du da, den ich nicht kenne, bist der Mensch, der mich liebt. 

​Wie groß muss das Gefühl der Liebe sein, denkt Hanna dann den ganzen Tag. Und hofft das auch für sich. Gleich am Abend schaut sie ihren Mann und ihre Kinder an und fühlt: das sind die Menschen, die mich lieben. Als sie alleine ist, weint sie ein bisschen. Vor Glück. Und sagt dann vor sich hin: Bitte, Gott, wenn mir die Sinne schwinden - erhalte mir das Eine: Dass ich immer die Menschen fühlen kann, die mich lieben.