Ein Engel an Mamas Hand

Sein Gesicht leuchtet ein wenig; er lacht dazu. Dabei ist Mirek, 63 Jahre, oft nicht zum Lachen zumute. Ich wollte nie, sagt er, eine Beziehung haben zu meiner Mutter. Jetzt habe ich eine. Mein Mutter ist dement. Dabei spricht Mirek in eine Kamera der Hessenschau. Und ist guter Dinge. Er fühlt eine Pflicht. Die Pflicht, sich zu kümmern.

Jetzt kommt seine Mama. Sie ist klein. Und etwas scheu. Mirek nimmt sie an die Hand. Beide setzen sich auf ein knallrotes Sofa. Plötzlich fängt Mirek an zu singen. Auf polnisch. Seiner Muttersprache. Und was geschieht? Seine Mama singt mit, kennt jedes Wort. Auch wenn die Sinne verwirrt sind - die Lieder sind noch am rechten Ort. So singen Mutter und Sohn. Aus vollem Herzen. Als das Lied zu Ende ist, küssen sie sich. Beide wirken selig. Aber bald fehlen der Mama wieder die Worte. Dafür spricht Mirek. Er sagt: Oft weiß sie nicht genau. Dann helfe ich mit Worten. 

Und wie ich Mirek höre und sein Leuchten im Gesicht sehe, ahne ich: Es gibt noch ein anderes Verstehen als nur mit Worten. Die Mama fühlt, dass sie gut aufgehoben ist, dass ihr Junge sie nicht zurechtweist, nicht andauernd verbessern will. Er teilt ihre verwirrte Welt und steht ihr bei, wenn sie nicht mehr weiter weiß. Dann nimmt er ihre Hand und führt sie. Es darf ihr nichts Böses geschehen. Entschlossen gehen sie los, Mirek voran - wie ein Engel an Mamas Hand.