Plötzlich war ich wieder Kind
Plötzlich war ich wieder Kind, sagt er. In seinem Zimmer erzählt er von sich. Seine Kleidung ist schlicht, das Zimmer auch. Ein Tisch, zwei Sesselchen, Schrank, Bett. Seit drei Jahren wohnt er hier. Ich bin gut versorgt, sagt er. Die Nachbarn sprechen mit mir, ich gehe spazieren. Ein Vogelhaus steht auf dem kleinen Balkon. Während es da zwitschert, sagt er: Plötzlich war ich wieder Kind. Ich sehe einen alten Film im Fernsehen. Jemand geht in einen Laden. Da steht ein großes Glas. Voll mit Bonbons. Diese dicken Himbeerbonbons. Da sehe ich mich, sagt er. In meinem Dorf gab es einen Laden. An der Kasse stand ein Glas mit Bonbons. Jedes Mal, wenn ich da drin war, durfte ich mir ein Himbeerbonbon aus dem Glas nehmen. Der passte kaum in den Mund, so dick war der. Ich lutschte lange. Hinterher waren Zunge und Lippen rot. Ich konnte es nie abwarten, wieder mit meiner Mutter einkaufen zu gehen. Weil ich ein Bonbon bekam.
Er lehnt sich zurück in seinem Sessel. Vielleicht träumt er ein bisschen. Plötzlich war meine Kindheit da, sagt er. So klar wie nie. Mir fiel dies ein und das. Vielleicht bin ich ja ein Leben lang, sagt er, nie mehr gewesen als dieses Kind. Das sich sehnt nach einem Bonbon. Und nach einem, der es mir schenkt. Jetzt schaut er lange aus dem Fenster. Und vielleicht, sagt er dann, wird nur der Körper groß. Die Seele aber bleibt das Kind, das sich sehnt. Nach Menschen, nach Gott. Sich sehnt nach jemandem, der die Seele durchs Leben trägt.