hr4 ÜBRIGENS
hr4
Becker, Michael

Eine Sendung von

Evangelischer Pfarrer, Kassel

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Von armen und reichen Herzen

Von armen und reichen Herzen

Er hat sich geärgert, nehme ich an. Der Dichter Jean Paul (1763 - 1825) kommt viel herum in seiner Welt. Er reist gerne. Weil er berühmt und beliebt ist, weil er gerne bewundert wird von Frauen und weil er von Zuhause weg kommt. So fährt er von Bayreuth nach Coburg oder Heidelberg, nach Berlin und Weimar.

Er lässt sich feiern und trinkt sein geliebtes Bier. Das trinkt man zu jeder Gelegenheit, damals, vor zweihundert Jahren. Die Menschen lieben den Dichter Jean Paul und seine listigen Bücher. Je mehr er aber herum kommt, desto mehr ärgert er sich. Meist im Stillen. Nur einmal blitzt es auf. Als er heim kommt von einer Reise, schreibt er in einem Brief:

Je weniger das Herz Gelegenheit hat, sich zu ergießen,
desto leerer wird es.

Er hat sich geärgert. Über die Reichen und Schönen und die, die es gerne wären. Und die ihr Herz für sich haben. Nur für sich. Als drehe sich alles um sie. Als sei die Welt nur geschaffen worden, damit es ihnen gut gehe. Nicht etwa allen, nur ihnen. Die ihr Herz für sich behalten. Die sich um sich kümmern, um ihren Platz in der Welt, um ihr Seelenheil. Hauptsache Ich, denken sie. Und so leben sie. Als schiene die Sonne nur für sie. Als habe sich Gott zuerst und nur um sie zu sorgen.

Das ärgert den Dichter Jean Paul. Er teilt einen kleinen Seitenhieb aus und schreibt: Wenn ein Herz bei sich bleibt, wird es leer. Recht so. Wie ein Schrank, der nie gelüftet wird, bald muffig riecht. Wer nur sich im Herzen trägt, wird ein armer Mensch. Wer Gott nur für sich haben will, verpasst ihn. Das Herz schlägt langsamer, stelle ich mir vor, wenn es sich nicht öffnet. Wenn es nicht freigiebig ist. Auch das Herz braucht Luft und Sonne wie Wanderer am hr4-Walkingtag, um lebendig zu bleiben. Braucht anderes als nur sich. Am besten lüftet man gelegentlich. Und fragt sich: Wer braucht mich? Wem soll ich mein Herz öffnen? Schon die Frage macht einen Tag wertvoll.