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Eine Sendung von

Evangelische Pfarrerin, Willmenrod

Die Zierpflaume

Die Zierpflaume

Früher stand in unserem Garten ein Zierpflaumenbaum. Er war groß – fast sieben Meter – und er war schon alt. Viele Zweige waren tot. Weil wir keine so lange Leiter hatten, blieben sie einfach im Baum. Er immer ein wenig zerrupft aus. In unserem Wohnzimmer war es oft selbst am Tag so dunkel, dass wir Licht anmachen mussten. Im Sommer nahm er unserem kleinen Garten die Sonne und den anderen Pflanzen das Wasser. Im Herbst bescherte er uns Berge von Laub.

Diese Zierpflaume war wirklich keine Schönheit mehr. Eigentlich störte der Baum nur. Eigentlich machte er nur Arbeit. Eigentlich…

Denn jedes Jahr im Frühling geschah ein kleines Wunder. Im Herbst fragten wir uns, ob er wohl den Winter überstehen würde. Und jeden Frühling stellten wir fest, dass das Leben wieder einmal gesiegt hatte. Vor allen anderen Obstbäumen in der Umgebung stand unser Baum mit einem Mal in voller Blüte. Dieser alte, halb-tote Baum verwandelte sich in ein rosafarbenes Blütenmeer.

Nach nur wenigen Tagen war dieses zauberhafte Schauspiel vorbei. Die Blüten fingen an abzufallen. Ging ein leichter Wind, sah es aus, als würde es schneien. Wie Schneeflocken wirbelten die Blütenblätter durch die Luft und bedeckten den Boden. Der Baum verwandelte sich wieder in seine zerrupfte Gestalt zurück.

Irgendwann mussten wir den Baum dann doch fällen. Und obwohl er mir die meiste Zeit des Jahres über nur lästig war, fehlt er mir jetzt. Es ist schon seltsam, dass man sich in der Rückschau oft zuerst an die guten Dinge erinnert, und die weniger schönen in den Hintergrund treten.

Erstaunlich, wie eine schöne Erinnerung oft sehr viel Ärger aufwiegt.