hr3 MOMENT MAL
hr3
Vogt, Dr. Fabian

Eine Sendung von

Evangelischer Pfarrer in der Öffentlichkeitsarbeit, Frankfurt

Reichskristallnacht

Reichskristallnacht

Vor einigen Jahren nahm mich mein Großonkel zur Seite und sagte leise: „Natürlich haben wir es gewusst. Also nicht das mit den Konzentrationslagern. Das haben wir nur geahnt – und schnell verdrängt. Aber das mit den Juden überhaupt … also, das bekam man natürlich mit. Die jüdischen Betriebe wurden ja gekennzeichnet, in vielen Städten mussten die Juden ihre Läden markieren, alle jüdischen Staatsbeamten wurden entlassen, die Männer mussten offiziell den Zweitnamen ‚Israel‘ und die Frauen den Namen ‚Sara‘ anneh-men und überall gab es Verhaftungen …

Tja, und spätestens als dann am 9. November 1938 in ganz Deutschland die Synagogen brannten, hätten wir es kapieren müssen. Tausende jüdischer Geschäf-te, Wohnungen und Friedhöfe wurden zerstört. Das konnte keiner übersehen.

Oder doch. Wir konnten. Letztlich konnten wir es.“ Hat mein Onkel schließlich gemeint.   Das war ja die perfide Taktik der Faschisten, die Taktik der kleinen Nadelstiche. Jede Aktion gegen die Juden wurde so in den Zeitungen begründet, dass man sein Gewissen gerade noch ruhigstellen konnte. Wir haben gesehen, was passiert – und wollten uns nicht eingestehen, dass Menschenverachtung viel früher anfängt als im Konzentrationslager.“

Mein Großonkel ist vor einigen Jahren gestorben. Aber immer, wenn wieder der Reichspogromnacht gedacht wird, muss ich auch an ihn denken. Und daran, dass man manchmal richtig gut aufpassen muss, damit die eigenen Überzeugungen nicht überlistet werden.