hr2 ZUSPRUCH
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Krebs, Stephan

Eine Sendung von

Evangelischer Pfarrer, Langen

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Wut im Straßenverkehr: Vom Zorn zur Versöhnung

Wut ist ein intensives Gefühl. Das erlebt Jörg beim Autofahren. Gerade fährt er auf eine Engstelle zu: Zwei Fahrbahnen werden zu einer. Jörg wechselt auf die rechte Spur, dann auf der kann er weiterfahren. 

Emotionen auf der Straße: Wut hinterm Steuer

Da schießt links ein Auto vorbei und zieht direkt vor ihm nach rechts. Es geht um Zentimeter. Jörg muss voll bremsen und sogar noch auf den Straßenrand ausweichen. Dort ist zum Glück etwas Platz. Deshalb passiert nichts Schlimmes. Aber Jörg kocht innerlich vor Wut.

Wenn Ärger in Gedanken wächst

Ich stelle mir vor, dass Jörg ein paar Tage später zufällig diesen Wagen wiedersieht. Jetzt steht er auf dem Parkplatz hinter einer Wohnanlage. „Aha“, denkt Jörg. „Hier muss der Fahrer also wohnen.“ Er geht weiter. Spätabends kehrt er aber zurück und lässt aus allen vier Reifen die Luft. „Stillgelegt wegen gemeingefährlichem Fahrer“, murmelt er vor sich hin.

Welche Folgen kann ein einziger Impuls haben?

Was er nicht weiß: Der Fahrer des stillgelegten Autos muss am nächsten Morgen ganz früh zur Arbeit. In ein Stellwerk der Bahn. Aufgrund der platten Reifen muss er ein Taxi bestellen. Das dauert seine Zeit. Deshalb müssen Züge warten. Hunderte von Menschen kommen zu spät zu ihrer Arbeit, zu Arztterminen, zu Vorstellungsgesprächen, in die Schule.

Ein Perspektivwechsel durch einen Bibelvers

Zum Glück hat sich Jörg das in seiner Phantasie nur so ausgemalt, als er wütend war. In Wahrheit ist es anders gekommen. Denn er hat in seiner Küche einen Abreißkalender stehen. Darin findet er für jeden Tag einen Bibelvers zum Nachdenken. Einer davon stammt vom Apostel Paulus und der kommt zur rechten Zeit: „Lass dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit Gutem.“ Dieser Vers bringt Jörg auf einen anderen Plan.

Vom Gedanken zur guten Tat

Er fährt spätabends zu dem Auto. Doch er lässt nicht die Luft aus den Reifen, sondern er steckt einen Zettel hinter den Scheibenwischer. Darauf steht: „Sehr geehrter Autofahrer, vor ein paar Tagen haben Sie mich am Ende der Umgehungsstraße überholt und dabei von der Straße abgedrängt. Sie haben mich ohne Not in eine lebensgefährliche Situation gebracht. Ich verzichte auf eine Anzeige. Aber ich möchte doch gerne wissen: Was hat Sie dazu getrieben so rücksichtslos zu fahren?“ Dann schreibt Jörg seine Telefonnummer dazu. Auf dem Rückweg fragt er sich, was er nun eigentlich erwartet. Vermutlich nichts, denkt er. Oder vielleicht doch?

Wenn Entschuldigung Brücken baut

Am Abend des nächsten Tages klingelt sein Telefon. Er hört die verlegene Stimme eines Mannes: „Ich bin der Fahrer des Autos, Sie wissen schon. Ich möchte Ihnen zwei Dinge sagen. Erstens: Es tut mir leid. Ich habe den Fehler selbst gemerkt und mich furchtbar über mich geärgert. 

Die Kraft der Vergebung

Und zweitens: Danke, dass Sie mir den Zettel geschrieben haben. Das gibt mir die Chance mich zu entschuldigen.“ Diese Worte kommen so eindeutig von Herzen, dass sie auch Jörg direkt zu Herzen gehen. Seine Wut löst sich in Verzeihen auf.