Oma Leser
Sie war eigentlich gar nicht meine richtige Oma. Und trotzdem hab ich sie Oma genannt. „Oma Leser“ war sie für mich und meinen Bruder. Sie hat in der Wohnung über uns gewohnt. Eine ältere, alleinstehende Dame, die über die Jahre immer mehr zu unserer Familie hinzuwuchs.
Radfahren-Lernen mit "Oma Leser"
Ich erinnere mich: Sie hat mein Kinderfahrrad gehalten und ist hinter mir hergelaufen, als ich Fahrradfahren gelernt hab. Sie hat bei uns am Küchentisch gesessen und mitgegessen. Und sie ist auf vielen Fotos aus den 70er Jahren zu sehen, auf denen wir am Weihnachtsbaum die Geschenke auspacken oder an Ostern die Osternester suchen.
Meine beiden „richtigen“ Omas haben weit weg von uns gewohnt. Oma Leser aber, das war die Oma vor Ort. Die Oma, die immer für uns da war. Und es hat sehr wehgetan, als sie 1990 gestorben ist. 35 Jahre ist das jetzt her. Und immer noch denke ich an sie und weiß: Sie hat mich geprägt.
Anna und Joachim: Großeltern Jesu
Heute stehen im Heiligenkalender Anna und Joachim. Das waren die Großeltern von Jesus. In der Bibel steht nichts von ihnen, aber es gibt Legenden über sie. Ich stelle mir vor: Auch sie haben Jesus geprägt. Bestimmt haben sie ihm ihren jüdischen Glauben beigebracht. Haben ihm ihr Bild von Gott und den Menschen vorgelebt.
So eine Großmutter war auch Oma Leser für mich. Sie war eine sehr fromme Frau, bis zu ihrer Rente hatte sie den Haushalt eines Pfarrers geführt. Sie war in jedem Gottesdienst in der Kirche nebenan, und sie hat viel gebetet. „Ach Jesus, hol mich doch heim“, hat sie am Ende manchmal geseufzt, mit über 90.
Oma Lesers Frömmigkeit
Natürlich war ihre Frömmigkeit nicht meine. Aber ich kann mich nicht erinnern, dass wir uns deswegen mal gestritten hätten. Sie hat uns ihre Form von Gottesglauben niemals aufgedrängt – und nie hab ich sie klagen hören über die Jugend. Obwohl sie vielleicht schon Grund gehabt hätte, wenn ich mir das heute überlege. Unsere Jugendgottesdienste damals in den 80ern müssen für eine 90 Jahre alte Dame wirklich eine Zumutung gewesen sein. Viel laute Musik, viel Diskussion, manchmal sogar Publikumsbeschimpfung.
Ein heiterer, fester Glauben
Aber ich kann mich trotzdem nur daran erinnern: Oma Leser hat gelächelt. Hat uns so genommen, wie wir sind. War freundlich und gelassen. Vielleicht gerade auch, weil sie so entspannt auf Gott vertraut hat. Weil ihr Glaube sie getragen hat.
Heute, am Tag der Großeltern Jesu, denke ich besonders an sie. Und ich hoffe, dass ich im Älterwerden immer mehr von ihr übernehmen und leben kann: von ihrem freundlichen Umgang mit der jüngeren Generation. Und dem heiteren, festen Glauben meiner Oma Leser.