Halte ich die Stille aus?
Alles still. Kein Geräusch zu hören. Unheimlich oder unheimlich schön? Unterschiedlich kann die Stille auf uns Menschen wirken - romantisch oder gespenstisch. In jedem Fall ist der Moment selten, in dem ich zur Ruhe komme und die Stille genießen kann.
Ein Bischof wurde einmal in einer Talkshow gefragt, ob er in zwei Sätzen zusammenfassend erklären könne, worin das Wesen der Religion begründet sei. Darauf entgegnete der Bischof: „Dazu reicht mir ein Wort.“ Gespannt warteten die Moderatorin und das Publikum auf die Antwort des Theologen. Tatsächlich brauchte der Bischof nur ein Wort. Er sagte: „Stille.“
Gott in der Stille Raum geben
Die Stille als das Wesentliche der Religion. Ich musste damals, als ich die Talkshow sah, über diese Antwort nachdenken. Aber tatsächlich hat der Bischof damit den Kern getroffen. Wenn ich überlege, wie ich Gott finden kann, ihm nahe sein kann, dann komme ich unweigerlich auch auf dieses Wort: Stille.
In der Stille begegne ich Gott. Wahrscheinlich auch deshalb, weil ich in der Stille zu mir selbst komme. Ich kann über mein Leben nachdenken. Was ist mir wichtig? Was nicht? Worauf lege ich Wert? Worauf nicht? Worauf kommt es im Leben an? Worauf nicht? Solch elementare Fragen stelle ich mir oft eher in der Stille als in der Hektik des Alltags.
Ich muss zugeben: Manchmal kann ich Stille nicht ertragen. Beispielsweise wenn ich mit jemanden auf einer längeren Autofahrt unterwegs bin. Sich anzuschweigen – das fällt mir schwer.
Aber manchmal kann die Stille wunderbar sein. Wenn ich zum Beispiel im Wald auf einer Bank sitze und Rehe betrachte. Kürzlich ist mir das bei einer Wanderung passiert. Vier Rehe laufen ganz dicht an mir vorbei auf das freie Feld hinaus. Wenn es nicht still gewesen wäre, wenn ich mich in diesem Moment mit jemandem unterhalten hätten, hätte es diese Situation sicher gar nicht gegeben.
In der Stille sich selbst begegnen und wahrnehmen
Stille kann mich ruhig werden lassen. Ich komme ins Nachdenken, vielleicht sogar in eine Meditation. Dann bin ich ganz bei mir selbst. Mehr, als es in anderen Situationen möglich sein kann. Wenn ich zum Beispiel ein Gemälde betrachte und staunend begreife, welche Schönheit das Dargestellte auf mich ausstrahlt – das geschieht am besten in der Stille.
Ich mache das eigentlich viel zu selten: mir eine Auszeit nehmen, etwas betrachten und dabei in Stille verharren. Das kann für mich eine große Energiequelle sein. Das gibt mir Kraft und letztlich ist es auch eine Form von Genuss.
Das wünsche ich mir heute – auch für Sie: dass es heute einen Moment der Stille geben kann, in dem ich ganz bei mir bin, in dem ich meinen Blick auf etwas Schönes lenken kann, das ich länger betrachten kann. Alles ganz still - und unheimlich schön.