hr2 ZUSPRUCH
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Wiesheu, Annette

Ein Sendung von

Katholische Studienleiterin an der Akademie des Bistums Mainz in Darmstadt

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Antisemitismus in Hessen heute

„Ja, das ist Antisemitismus. Jüdische Erfahrungen in Hessen“ – so lautet der Titel einer Wanderausstellung der Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus in Hessen, kurz RIAS. RIAS ist eine erste Anlaufstelle für Betroffene von Antisemitismus, antisemitische Vorfälle können dort gemeldet werden, werden erfasst und dokumentiert.

Und solche konkreten Vorfälle bilden auch die Grundlage der Ausstellung – Vorfälle, die wirklich passiert sind, die jüdischen Menschen in Hessen widerfahren sind. Die Macher der Ausstellung haben diese Erlebnisse graphisch umgesetzt und anonymisiert in Bildgeschichten nacherzählt. 

Was da passiert, welche Worte da fallen...

Ich konnte die Ausstellung vor einigen Wochen sehen, und ehrlich gesagt: Vieles von dem, was ich in der Ausstellung gesehen habe, war mir nicht bewusst. Natürlich weiß ich, dass es Antisemitismus gibt, auch dass die Zahl antisemitischer Vorfälle in den vergangenen zwei Jahren, nach dem 7. Oktober 2023 dramatisch angestiegen ist. Aber ich habe gemerkt: Es ist etwas anderes, sich damit zu beschäftigen, wie sich Antisemitismus ganz konkret äußert, was da passiert, welche Worte da fallen – und auch damit, was es in Menschen auslöst, die davon betroffen sind. 

Sogar im Sommer bedeckt er sein Gesicht

Eine Geschichte in der Ausstellung erzählt von einem jungen Mann, der immer wieder, jeden Tag, an antisemitischen Schmierereien vorbeigehen muss und antisemitische Parolen hört. Er vergräbt sich immer mehr in seine Kleidung, trägt Schal und Mütze, sogar im Sommer, bedeckt das Gesicht, um unsichtbar zu werden. Nur bei seinen jüdischen Freunden fühlt er sich sicher und kann diese Schutzschicht ablegen. 

„Haha, die haben es doch verdient“

Mit am meisten erschreckt hat mich die Geschichte von der Störung einer Gedenkfeier zur Erinnerung an die Pogrome in Deutschland vom 9. November 1938. Die Störer fragen: „Was wird denn hier gefeiert?“. Und auf die Antwort: „Keine Feier, wir gedenken der sechs Millionen ermordeten Juden und dem unsäglichen Leid vieler weiterer“, darauf folgt der Kommentar: „Haha, so unnötig, die haben es doch verdient“. Und genauso entsetzt haben mich Reaktionen auf das brutale Massaker in Israel am 7. Oktober 2023, verübt durch die Terroristen der Hamas. Auch davon erzählt die Ausstellung: wie in den Tagen danach, vor zwei Jahren, bei den jüdischen Gemeinden Drohanrufe eingingen. Und wie immer wieder Poster mit den Bildern der von der Hamas verschleppten Geisel geschändet werden, wie Namen und Gesichter herausgekratzt oder mit „Herzchen Hamas“ überschmiert werden. 

Es herrscht ein Klima der Missachtung und der Verrohung

Für mich ist es unfassbar: dass der Hass nicht einmal Halt macht vor dem unvorstellbaren Leid, das Menschen angetan wurde, nicht vor der Erinnerung an das Menschheitsverbrechen der Shoa, nicht vor den Qualen, die die Opfer des Massakers am 7. Oktober und die verschleppten Geiseln und ihre Familien durchleiden.

Für mich spricht aus diesen Äußerungen ein brutaler Antisemitismus und auch: eine beängstigende Verrohung. Und mir macht das deutlich: So etwas geht nicht nur die Betroffenen an, sondern uns alle. Wo eine Gruppe, wie die jüdische Gemeinschaft, solchen Anfeindungen ausgesetzt ist, da herrscht ein Klima der Missachtung, der Verrohung, ja der Gewaltbereitschaft. Das bedroht nicht nur bestimmte Gruppen, sondern uns alle – und wir sind alle aufgerufen, uns dagegen zu stellen.