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Eine Sendung von

Evangelische Theologin, Rüsselsheim

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Viele Arten, Familie zu sein

Der Sommer ist Hochzeitssaison. Jedes Wochenende werden neue Ehen geschlossen – auf dem Standesamt, Trauung in der Kirche. Braut im weißen Kleid, Bräutigam im Anzug, Blumen, Hochzeitstanz… Auf der Hochzeitstorte die Figuren des glücklichen Paares. Und in den Glückwünschen die Andeutung: Jetzt bald kommt doch das erste Kind, oder? Denn so wird es erwartet. Eine perfekte Familie – das sind Mann, Frau und zwei Kinder. Auch heute noch, wo die Scheidungsraten hoch sind und viele Menschen keine Kinder wollen oder bekommen können.

Das christliche Familienbild: Vater, Mutter und zwei Kinder?

Manche sagen: Vater, Mutter und mindestens zwei Kinder. So sieht das christliche Familienbild aus. Wobei – so klar ist das gar nicht. In der Bibel gibt es eine Vielzahl an Familienformen. Die bekannteste dürfte die heilige Familie sein: Maria, Josef, Jesus. Aber schon da wird die Tradition hinterfragt.

Jesus hatte zwei Väter

Denn: Josef ist ja nicht der leibliche Vater von Jesus. Als er von Marias Schwangerschaft erfährt, ist sein erster Gedanke sogar, sie zu verlassen – denn das Kind ist nicht seins. Aber er bleibt und zieht Jesus auf wie seinen eigenen Sohn. Die heilige Familie besteht also aus Mutter, Stiefvater und Sohn. Von dem Sohn Jesus heißt es in der Bibel: Er ist Gottes Sohn. Jesus hatte also zwei Väter – seinen himmlischen und seinen irdischen, der ihn aufzog.

Das Familienideal ist in der Bibel eher selten

Auch sonst gibt es das Familienideal von Mann, Frau, Kindern in der Bibel eher selten – stattdessen eine Vielzahl an Kombinationen. Die eine christliche Familie ist also ein Konstrukt, das erst viel später entstand. Das entdecken auch die Kirchen wieder. Die Evangelische Kirche in Deutschland hat das so formuliert: Familie ist überall da, wo Menschen langfristig Verantwortung füreinander übernehmen.

Familie ist überall da, wo Menschen langfristig Verantwortung füreinander übernehmen

Das heißt: Eine alleinerziehende Frau mit ihren Kindern ist Familie. Ein schwules Paar ist Familie. Ein Mann, der seine kranke Tante pflegt und bei ihr lebt, bildet mit ihr eine Familie. Eine Gruppe Freunde, die seit Jahren verlässlich füreinander da sind und Verantwortung füreinander übernehmen – auch das ist eine Art Familie.

„Wer Gottes Willen tut, ist mein Bruder und meine Schwester und meine Mutter.“

Aber ist die Ehe nicht ein Gebot Gottes? Nein. Nirgendwo in der Bibel heißt es, Männer und Frauen müssten heiraten. Die Sache ist komplizierter. In der Schöpfungsgeschichte heißt es, der Mensch wird seine Eltern verlassen und Frau und Mann tun sich zusammen. Paulus dagegen im Neuen Testament war unverheiratet und findet sogar, es wäre besser, wenn alle Christen so leben würden. Jesus hatte eine sehr weite Vorstellung von Familie. Er sagte: „Wer Gottes Willen tut, ist mein Bruder und meine Schwester und meine Mutter.“ (Markus 4,35)

Die Ehe zwischen Mann und Frau ist nicht mehr das einzige Bild einer guten Familie

Die Ehe ist eine gute Sache – eine Einrichtung, die vielen Menschen viel bedeutet. Es ist das Versprechen, füreinander da zu sein und auch schwierige Zeiten gemeinsam durchzustehen. Aber die Ehe zwischen Mann und Frau ist nicht mehr das einzige Bild einer guten Familie. Viele andere Bilder gab es schon immer, neue sind dazu gekommen. Sie helfen, eine diverser gewordene Realität wahrzunehmen. Vielfalt ist hier Bereicherung.