Heute brennt der Nubbel
Heute Abend brennt er wieder: der Nubbel. Der Nubbel? In Hessen wird er eher unbekannt sein. Aber in Köln: Da kennt man ihn. Den Nubbel. Da gehört er zum Karneval wie Prinz, Bauer und Jungfrau. Und da bin ich ihm auch zum ersten Mal begegnet. Ich habe in Köln studiert und bin während der Karnevalstage mit meinen Kommilitonen feiern gewesen. Und da habe ich vor unserer Lieblingskneipe eine große Figur hängen sehen. „Was ist das denn?“, habe ich gefragt. „Das ist der Nubbel“, wurde ich aufgeklärt. Und auf meinen fragenden Blick hin haben mir meine Kommilitonen den Nubbel erklärt.
Der Nubbel: Das ist eine lebensgroße Strohpuppe, die in den Tagen des Straßenkarnevals an vielen Kölner Kneipen hängt. An Weiberfastnacht wird sie angebracht. Heute am Fastnachtsdienstag geht die Fünfte Jahreszeit bekanntlich zu Ende. Und das bedeutet auch das Ende für den Nubbel. Denn mit ihm wird symbolisch der Karneval zu Grabe getragen. Kurz vor Mitternacht wird der Nubbel abgehängt. Und dann wird er angeklagt. Er muss stellvertretend für all die Fehltritte herhalten, die in den vergangenen Karnevalstagen passiert sind. Der Nubbel ist schuld, dass zu viel getrunken wurde. Der Nubbel ist schuld, dass Menschen fremdgegangen sind. Und und und. Und dann wird der Nubbel verbrannt. Die Sünden der Närrinnen und Narren lösen sich sozusagen in Rauch und Asche auf. Und man kann sündenfrei in die beginnende Fastenzeit starten. Die tollen Tage sind nun endgültig zu Ende. Nicht umsonst sagt man in Köln: „Alle flennen, wenn die Nubbel brennen.“
Und wie es beim Karneval oft so ist: Es gibt einen Bezug zu religiösen Traditionen. Schon das Alte Testament kennt die Geschichte des Sündenbocks, der mit den Sünden der Menschen in die Wüste gejagt wird. So wollten sich die Menschen mit Gott versöhnen. Aber ich finde auch: Mit so einem Nubbel, mit so einem Sündenbock – da macht man es sich auch etwas zu leicht. Es ist immer einfach, mit dem Finger auf andere zu zeigen und zu sagen: Der ist schuld. Viel schwieriger ist es, über sein eigenes Versagen nachzudenken. Über seine eigene Schuld. Darüber, was ich falsch gemacht habe und dazu auch zu stehen. Verantwortung zu übernehmen.
Ich denke da an einen Satz von Jesus, der Sohn eines Zimmermanns war. Er hat nämlich gefragt: „Warum siehst du den Splitter im Auge deines Bruders, aber den Balken in deinem Auge bemerkst du nicht?“ Und das ist es ja eigentlich auch, was mir der Nubbel mit einem Augenzwinkern sagt. Denn alle, die den Nubbel anklagen, wissen eigentlich schon: Hier geht es ja um mich. Und um meine Fehler und um meine Sünden. Oder wie Willy Millowitsch es mal in einem Karnevalslied gesungen hat: „Wir sind alle kleine Sünderlein, 'S war immer so, 's war immer so.“