Den Stein in deiner Hand
„Wer ohne Sünde ist, werfe den ersten Stein.“ Ein Satz, den viele von uns kennen – und doch begegnet er einer Gruppe von Jugendlichen in meiner Religionsklasse zum ersten Mal. Sie wissen nicht, dass er aus dem Johannesevangelium stammt, aus der Geschichte einer Frau, die verurteilt werden sollte. Und sie wissen noch nicht, wie sehr dieser Satz auch heute mitten ins Leben trifft. Wir gehen gemeinsam hinaus auf den Schulhof. Jeder sucht sich einen Stein. Manche sind schwer, manche klein, manche glatt, manche kantig. Und dann sprechen wir über die Steine unseres Alltags: über die schnellen Urteile, die wir fällen, über das Lästern, das Vergleichen, das Fingerzeigen. Über die Momente, in denen wir vergessen, dass wir selbst nicht perfekt sind.
Niemand ist ohne Schuld
Plötzlich passiert etwas. Einer der Schüler hat die Hausaufgaben vergessen. Ein anderer will es sofort mir als Lehrerin verraten. Und da sagt dieser Junge, fast nebenbei: „Wer ohne Sünde ist, werfe den ersten Stein.“ In diesem Moment wird es still. Die Klasse versteht – ohne große Erklärung – worum es Jesus geht: nicht um Schuldzuweisung, sondern um Barmherzigkeit. Nicht um Perfektion, sondern um Menschlichkeit.
Den Stein aus der Hand legen
Diese alte Bibelstelle hat eine erstaunliche Aktualität. Sie hält uns Erwachsenen einen Spiegel vor. Wie oft beurteilen wir Menschen nach einem ersten Eindruck? Wie schnell verurteilen wir Fehler, die uns selbst ebenfalls passieren könnten?
Jesus lädt uns ein, den Stein aus der Hand zu legen. Weg vom Urteilen – hin zum Verstehen. Weg vom Strafen – hin zum Hinsehen. Weg von der Härte – hin zur Gnade. Vielleicht ist das die Botschaft, die wir in unserer Welt dringender brauchen denn je: Niemand muss perfekt sein. Aber jeder kann barmherzig sein. Und manchmal genügt ein einziger Satz, gesprochen von einem Siebtklässler, damit uns das wieder ganz neu bewusst wird.