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Eine Sendung von

Pastor evangelische Freikirche

Was Anatewka mit Jesus verbindet

Wie wichtig ist Tradition – und inwieweit muss man sich an sie halten? Die Frage stellt sich nicht nur jede Generation neu, sondern auch die Bibel. In vielen Romanen, Gedichten wird diese Frage gestellt, Zum Beispiel im Musical Anatewka. In ihm geht es um Tewje, den Milchmann in einem jüdischen Dorf der Zarenzeit.

Jude zu sein dort war nicht leicht. Viele wanderten nach Amerika aus. Andere bleiben da. Tewje erklärt, warum einige nicht längst ihre unwirtliche Heimat verlassen haben

Der Grund liegt in der Tradition. Tradition legt fest, wie man lebt. Wie sich die Frauen verhalten, was die Männer tun. Alles folgt der Tradition. Warum – spielt keine Rolle. Dass man der Tradition folgt, hat seinen Wert in sich. Wer Traditionen folgt, muss nicht viel nachdenken. Soll ich? Soll ich nicht? Keine Frage: Die Tradition entscheidet. In solchen Gewohnheiten ist man geborgen. Und es ist schön, in einer Tradition zu Hause zu sein.

Als die Töchter des Milchmanns Männer heiraten wollen, die nicht der Tradition entsprechen, gerät das Weltbild Tewjes durcheinander.

Was in Anatewka geschah, kennen Eltern auch an anderen Orten und zu anderen Zeiten: Kinder kommen in ein Alter, in dem sie die Traditionen des Elternhauses in Frage stellen. Sie weigern sich plötzlich, Oma zum Geburtstag zu besuchen oder den Ritualen zu folgen, die in ihrer Familie gepflegt werden. Dabei war das Leben doch über viele Jahre gut gelaufen. Doch jetzt gehen die Kinder ihre eigenen Wege. Zum Glück. Wer nie rebelliert, der wird immer nur tun, was andere sagen. Es ist gut, wenn Kinder nicht immer tun, was ihre Eltern tun.

Auch von Jesus erfahren wir in der Bibel, dass er mit zwölf Jahren begann, seine eigenen Wege zu gehen. Seine Familie pilgerte jedes Jahr nach Jerusalem. Dort feierten sie das Passahfest und dann ging es wieder heim nach Galiläa. Alle machten sich auf, aber Jesus blieb in Jerusalem und diskutierte mit den Schriftgelehrten.

Jesus hatte sich entschieden. Er blieb im Tempel und vergaß alle Regeln guten Zusammenlebens. Hätte er nicht wenigstens Bescheid sagen können? Hätte er nicht! Wer so sehr von einer Sache ergriffen ist, der darf nicht erst Mama und Papa um Erlaubnis fragen. Damit müssen Eltern leben lernen. Auch wenn ich die Aufregung der Eltern gut verstehen kann. Sie haben ja Recht. Aber es gibt manchmal wichtigeres.

Im Musical Anatewka war es für die Töchter des Michmann Tewjes die Liebe, die wichtiger war als die Familientradition.

Auch für Jesus ist es die Liebe, die ihn aus den Traditionen ausscheren lässt. Er entdeckte im Tempel seine Liebe zu Gott und erkennt sich als geliebtes Kind des Vaters im Himmel.

Wer liebt, der kann mit der Tradition frei umgehen. Es kommt nicht mehr darauf an, in den Traditionen Halt und Geborgenheit zu finden. Liebende fühlen sich bei ihrem Geliebten daheim. Den Töchtern des jüdischen Milchmanns waren die jungen Männer bedeutender. Jesus war sein Vater im Himmel wichtiger.

Wer liebt, der hat einen sicheren Halt.