hr2 ZUSPRUCH
hr2
von Winterfeld, Charlotte

Eine Sendung von

Evangelische Pfarrerin, Frankfurt

Schiffbruch mit Tiger

Life of Pi (Pei gesprochen) - Schiffbruch mit Tiger – war der schönste Kinofilm des Jahres 2012, haben viele Zuschauer gesagt und auch Fernseh-Journalisten. Ich kann das nachvollziehen.

Im Mittelpunkt steht Pi, ein halbwüchsiger Junge. Sein Vater ist Zoodirektor in Indien. Sein Lieblingstier ist Richard Parker, ein bengalischer Tiger. Aus politischen Gründen beschließt die Familie auszuwandern und geht mitsamt vielen Tieren an Bord eines Schiffes. Auf der Reise gerät das Schiff in einen ungeheuren Sturm und geht unter. Pi rettet sich auf ein Rettungsboot, mit ihm Richard Parker, der Tiger. Die beiden sind die einzigen Überlebenden.

Um die eigene Haut vor dem hungrigen Tiger zu retten, baut sich Pi ein Floß aus Rettungswesten und verbringt die meiste Zeit dort. Das Floß macht er an einer Leine am Boot fest. So kann der Tiger ihn nicht auffressen. Er schafft es, den Tiger zu zähmen. Pi lernt fischen und füttert den Tiger als Belohnung, wenn er ihm gehorcht.

Die Weite des Pazifiks, das Farbenspiel der Wolken und Wellen, leuchtendes Plankton oder ein Schwarm fliegender Fische: die 3-D-Bilder sind so großartig, dass man glaubt, man wäre selbst in dem Rettungsboot.

Nach zweihundertsiebenundzwanzig Tagen werden Pi und Richard Parker an der mexikanischen Küste angetrieben. Der Tiger verschwindet im Dschungel und Pi erholt sich. Was bleibt, sind seine spirituellen Erfahrungen, die er auf dem Meer gemacht hat. Er ist ein gläubiger Mensch. Das scheinbar endlose Meer, die Naturgewalten, die Einsamkeit, der Kampf ums Überleben, das alles ist für ihn auch eine Begegnung mit Gott.

Mich hat beeindruckt, dass der Junge nicht aufgibt, dass er immer weiter kämpft, dass er sogar Tagebuch schreibt und die Schönheit der Naturgewalten trotzdem genießt. Wenn ich in seiner Situation gewesen wäre, ich hätte vermutlich die ganze Zeit panische Angst gehabt und nicht klar denken können. Pi habe ich so erlebt: Er weiß irgendwie: „Ich bin gar nicht allein. Da ist eine höhere Macht, da ist Gott, der irgendetwas mit mir vorhat.“ Es ist ganz klar, dass sein Schicksal in Gottes Händen liegt. Und dieses Wissen gibt Kraft und beruhigt. So wie es in einer Liedzeile im Evangelischen Gesangbuch heißt: „Du kannst nicht tiefer fallen als in Gottes Hand!“1

Ich weiß: Auch andere machen diese Erfahrung. Eine Frau hat mir mal erzählt: „Als mein Mann mich verlassen hat und ich mit drei Kindern plötzlich allein da saß und wirklich unendlich traurig war, habe ich mich auf mein Bett gelegt und geweint. Dann hatte ich plötzlich das Gefühl, dass Gottes Hand mich auffängt und trägt, dass ich nicht tiefer fallen kann.“ Das hat mich damals sehr berührt. Und ich kann das nachfühlen. Auch wenn ich noch nie mit einem Tiger zusammen in einem Rettungsboot auf dem weiten Meer gesessen habe.