Auch eine Emanzipation
Wie sie aussah, wissen wir ziemlich genau, denn als Frau des Reformators Martin Luther war Katharina von Bora eine der bekanntesten bürgerlichen Frauen des hohen Mittelalters, und Lukas Cranach hat sie mehrfach gemalt. Sie hatte hohe Wangenknochen und leicht schräggestellte braune Augen. Auch das Haar, in der Mitte gescheitelt und hinten zu einem Kranz aufgesteckt, war braun. Die Nase gerade und kräftig, der Mund feingezeichnet, Energie und Entschlossenheit verratend, wie überhaupt das ganze Gesicht.
Ihr Eltern hatten sie zur Nonne bestimmt und mit fünf Jahren in einem Kloster abgeben. Mit 24 nahm Katharina von Bora ihr Schicksal selbst in die Hand, floh mit acht Gesinnungsgenossinnen nach Wittenberg und stellte sich unter den Schutz des Reformators und seiner Freunde. Die wussten, was sie diesen Frauen schuldig waren. Die dem Kloster Entflohenen mussten verheiratet werden. Es war ihre einzig mögliche Existenzsicherung.
Lange vor seiner eigenen Eheschließung hatte Luther den Ehestand mitsamt der dazu gehörigen Sexualität als gottgewollte Ordnung aufgewertet und auch in diesem Punkt der alten Kirche widersprochen, die Keuschheit und eine klösterliche Lebensform an die erste Stelle setzte. 1521 heiratete der erste Priester. Vier Jahre später zog der Augustinermönch Luther für sich selbst die Konsequenzen. Mit 42 Jahren heiratete er die 26jährige Katharina von Bora. Sie war es, die ihm diese Verbindung vorgeschlagen hatte. Es wurde eine glückliche Ehe daraus.
Sechs Kinder hat Katharina ihrem Martinus in acht Jahren geboren, zwei starben früh, und diese Kinder wuselten nicht nur der Mutter, sondern auch dem Reformator zwischen den Beinen herum. Bei seinen berühmten Tischgesprächen hielt er nicht selten ein durchnässtes Kind auf dem Schoß oder teilte dem Freundeskreis mit: “Der Hans hat heute gelernt, mit gebeugten Knien in jede Ecke zu kacken“.
Warum erzähle ich das? Weil diese Teilhabe an der häuslichen Welt Luthers Theologie geerdet hat. Sie wurde ins Leben hineingezogen. Katharina aber wurde zum ökonomischen Rückgrat der Familie. Sie betrieb das sogenannte Schwarze Kloster, Wohnsitz der Großfamilie Luther, erfolgreich als Wirtschaftsbetrieb. Äcker und Weinberge gehörten dazu, Viehzucht, eine Brauerei und ein Studentenwohnheim, die Burse, deren Erträge ebenso hoch waren wie Luthers Professorengehalt.
Das Schwarze Kloster war ein offenes Haus. Jeden Abend nahmen 30 bis 40 Leute an dem langen Refektoriumstisch Platz. Sie aßen, sie diskutierten, sie schrieben mit, was Luther an Pointen von sich gab. Und Katharina mitten unter ihnen. Nein, die Reformation war keine Angelegenheit allein der männlichen Theologen.
Sie wurde von Frauen mitgeformt und mitgetragen. Die Frauen des Volkes sangen die neuen Lieder und trugen ihre geistliche Botschaft auf die Straße und in die Stuben. Die Frauen des Adels bereiteten der Reformation in ihrem Territorium den Boden. Katharina von Bora aber wurde zum Rollenmodell eines neuen Frauentypus, der fast 500 Jahre lang das Bild des Protestantismus in der Öffentlichkeit mitgeprägt hat: Die tüchtige Pfarrfrau. Ihr winken wir noch lange nach. Heute, am Internationalen Frauentag.