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Häbel, Dr. Ulf

Eine Sendung von

Evangelischer Pfarrer, Laubach-Freienseen

Lebensfragen lernen

Lebensfragen lernen

Du musst in jedem Jahrzehnt deines Lebens etwas dazulernen, was du bisher nicht gekannt hast. Diesen Rat gab mir eine Lebensberaterin, bei der ich vor zig Jahren Seelsorge und Lebensberatung für meinen Beruf als Pfarrer lernen wollte. Sie hat nicht gemeint, dass ich mich in meinem Beruf lebenslang fortbilde; das ist sicher auch gut, in jedem Beruf. Es ging ihr nicht darum, dass ich mich im Pfarrberuf perfektioniere - also Theologie studiert, dann den Doktor der Theologie daraufgesetzt und am Karriereende Professor für Theologie sein. Sie hat mir geraten, in jedem Lebensjahrzehnt etwas ganz anderes, sozusagen etwas Berufsfremdes hinzu zu lernen. Ich hab ihr geglaubt und ich habe es auch gemacht.

Als ich gerade Pfarrer geworden war - das war Anfang der siebziger Jahre - musste ich Religionsunterricht an einer sehr großen Schule geben. Das war in der neu errichteten Wohnstadt Schwalbach-Limes zwischen Frankfurt und Taunus. Ich merkte sehr schnell, dass ich von den Kindern als Pfarrer wie ein "komischer Heiliger" angesehen wurde. Damals habe ich die Trainer- und Übungsleiterlizenz beim hessischen Sportbund erworben. Pfarrer und Trainer passt das zusammen? Ja, es hat gepasst; ich konnte Sportunterricht und Religion in derselben Klasse geben.

Ein Jahrzehnt später habe ich Organisationsberatung gelernt. Das kam mir auch in meinem Beruf zu Gute. Denn eine Kirchengemeinde ist nicht nur eine Clique gläubiger Menschen; sie ist auch eine Organisation, in der alles was sie tut geregelt und organisiert sein will. Wieder zehn Jahre später habe ich mit Landwirtschaft angefangen. Das mache ich bis heute. Manche Leute fragten verwundert ob das denn zusammen passt: Pfarrer und Bauer. Für mich passt es.

Und nun war es wieder soweit. Ich bin über siebzig, ein neues Lebensjahrzehnt hat begonnen und ich habe eine Ausbildung zum Gedächtnistrainer gemacht. Es hat sich gelohnt. Ich habe viele Ideen bekommen und Übungen gelernt, die ich an einer Gruppe alter Menschen anwenden kann. Mit diesen alten Menschen treffe ich mich einmal in der Woche zu Gymnastik, Bewegung und Erzählen. Wir nennen uns Momentgruppe das heißt motorisches und mentales Training, damit wir fit bleiben.

Bei dieser Ausbildung habe ich gelernt, dass der Mensch lernfähig ist - lebenslang. Unser Gehirn bildet immer neue Nervenzellen, die man zum Denken oder Tun nutzen kann. Bisher hatte ich gedacht: Wenn man älter wird, baut langsam oder schneller alles ab - die Körperkraft, die Beweglichkeit, das Denkvermögen. Doch dieses Motto: dement werden wir alle - fragt sich nur wie schnell, stimmt nicht. Wir können bis ins hohe Alter ständig dazulernen sagen die Hirnforscher.

Sicher kann man nicht von einem Siebzigjährigen die sportliche Leistung eines Zwanzigjährigen erwarten. Das geht nicht; das ist vorbei. Aber ein alter Mensch kann jeden Tag dazu lernen wie er besser mit seiner Lebenssituation umgehen kann. Wie er sein Gedächtnis schulen und trainieren kann, damit er nicht so schnell so viel vergisst.

Lebenslanges Lernen ist eine wunderbare Chance. Ich glaube, dass Gott uns Menschen genau in dieser Absicht gemacht hat . Wenigstens steht das so im hundertneununddreißigsten Psalm der Bibel: Ich danke dir Gott, dass du mich wunderbar gemacht hast schon in meiner Mutter Leib. Von Anfang bis Ende umgibst du mich. Das erkenne ich, und es ist wunderbar.