Kraftorte
In einer Talkshow wurde der Tierfilmer und Reisejournalist Andreas Kieling gefragt: Woher nimmt er die Energie und Kraft so viel auf Reisen zu sein? Die Stärke, trotz der gefährlichen Situationen, in die er gerät, immer wieder aufzubrechen? Andreas Kieling erzählte von Kraftorten. Orten, an denen er auftankt. Die für ihn eine besondere Atmosphäre haben – etwas Magisches, das ihn berührt und zur Ruhe kommen lässt. Zu diesen Orten kehrt er immer wieder zurück, wenn er das Gefühl hat, das Leben ist gerade zu schnell oder zu unübersichtlich. Wenn er Atem schöpfen muss.
Ich selbst kenne auch so einen Kraftort. Als Studentin habe ich ihn entdeckt. Es ist eine alte abgestorbene Eiche, am Rande eines Waldes in Marburg. Daneben steht eine aus groben Brettern zusammengezimmerte Bank. Bank und Baum sind im Laufe der Zeit miteinander verwachsen. Das wettergegerbte Holz der Bank ist bemoost und schmiegt sich an den Stamm des alten Baumes wie an einen Freund. So, als ob sie einander stützten. Wenn man dort sitzt hat man einen wunderschönen Blick auf eine kleine Senke und einen Weg, der am Waldrand entlang führt.
Wenn ich dort bin, dann komme ich zur Ruhe. Ich lasse meinen Blick durch die Landschaft spazieren und atme die Stille und den Frieden. Ich spüre, wie das Schwere von mir abfällt. Ich bekomme Abstand von den Dingen, die mich in meinem Alltag oft gefangen nehmen. Und das befreit mich. Manchmal gibt mir das mehr Kraft und Trost, als Worte von nahen Menschen es können. Oft, kann ich danach wieder mit einem klareren Blick auf die Belange meines Lebens schauen. Ich habe das Gefühl, Gott an diesem Ort in besonderer Weise nahe zu sein. Auch das Beten fällt mir dort leichter. Wenn es mir so geht, dann ist ein Ort für mich ein Kraftort.
Gottes Präsenz ist nicht festgelegt auf Kirchen und Altäre. Gott offenbart sich den Menschen auch in seiner Schöpfung. Schon die Bibel erzählt von ungewöhnlichen Orten in der Natur, an denen er den Menschen nahe kommt. Dem Erzvater Abraham begegnet Gott im Hain von Mamre im Schatten alter Bäume. Der Prophet Elia begegnet Gott in einer Höhle. In einem leisen Windhauch offenbart ihm Gott seine Nähe. Mose steigt auf einen Berg um Gott nah zu kommen.
Diese Geschichten erzählen davon, wie die Natur zum Ort der Gottesbegegnung werden kann. Zu einem Ort, an dem Menschen Kraft und Energie tanken können. Oder neue Orientierung finden für ihr Leben. Gut wenn man einen solchen Ort gefunden hat. Oder sich auf die Suche danach begibt.