Nicht Fisch, nicht Fleisch
Karsamstag. Ein Tag irgendwie dazwischen. Nicht Fisch, nicht Fleisch. Der dunkle Ernst von Karfreitag ist vorbei. Aber das Leuchten des Ostersonntags ist auch noch nicht angebrochen. Eine unentschiedene Stille liegt auf dem Karsamstag. In vielen Kirchen ist der Altar leer geräumt: Kein Altartuch, keine Blumen, keine Kerzen. Die Glocken schweigen. Der Legende nach sind die Glocken an Gründonnerstag nach Rom geflogen und kehren erst am frühen Morgen des Ostersonntags zurück, um das Fest der Auferstehung einzuläuten.
Meine Großmutter ist als Kind noch von ihrer Mutter zum Stillsein verdonnert worden, als sie am Karsamstag fröhlich vor sich hingesungen hat. So streng geht es heute nicht mehr zu. Und doch gilt in vielen hessischen Städten und Gemeinden nach wie vor Tanzverbot. Darüber wird zum Teil heftig diskutiert.
Tage und Zeiten wie Karsamstag, nicht Fisch, nicht Fleisch, irgendwie dazwischen sind oft schwer auszuhalten. Es gibt Übergangszeiten, die entweder unruhig machen oder lähmen. Eine Entscheidung ist gefallen. Es ist klar, dass es nicht mehr weitergehen kann wie bisher. Aber das Neue, das statt des Alten kommen soll, hat noch nicht angefangen. Und so hängt man zwischen „nicht mehr“ und „noch nicht“, kann noch keine weiteren Schritte tun.
Im Beruf steht ein Stellenwechsel an. Es ist Zeit für Veränderung. Man streckt seine Fühler aus, entdeckt reizvolle Arbeitsangebote. Man muss Rückschläge bei Bewerbungen hinnehmen und fragt sich, wo und wie es weitergehen wird. Das Warten auf die Chance, die sich hoffentlich endlich auftut, strapaziert die Nerven.
Es gibt Übergangszeiten in der Trauer. Ein geliebter Mensch ist gestorben. Das Abschiednehmen fällt schwer. Die Tage um die Beerdigung sind zugleich von Geschäftigkeit erfüllt. Man kann noch einmal etwas tun, um auszudrücken, was der Verstorbene einem bedeutet hat. Doch dann sind alle Karten und Briefe zum Dank für die bezeugte Anteilnahme verschickt. Die Sachen des Verstorbenen sind sortiert. Und jetzt? Was kommt jetzt? Wie kann das Leben weitergehen? Die Gefühle schwanken zwischen Schmerz und der Sehnsucht, bei aller Trauer doch auch wieder Freude zu erleben. Stillstand.
Rainer Maria Rilke schrieb an einen jungen Dichter, der eine Zeit des Wartens und des Übergangs schier nicht ausgehalten hat: „Habe Geduld gegen das Ungelöste im Herzen und versuche, die Fragen selber lieb zu haben, wie verschlossene Stuben und wie Bücher, die in einer sehr fremden Sprache geschrieben sind. Es handelt sich darum, alles zu leben. Wenn man die Fragen lebt, lebt man vielleicht allmählich, ohne es zu merken, eines fremden Tages in die Antwort hinein.“
Der Karsamstag ist so ein Tag: Ein Tag, um Geduld zu haben mit dem Ungelösten in unseren Herzen. Ein Tag, nicht leicht darüber hinwegzutanzen, sondern erst einmal, um die Fragen zu leben. Und vielleicht ist es dann so, dass wir über den Karsamstag allmählich in den Ostermorgen hineinleben. In das Licht von neuem Leben. Mit dem inneren Schwung, um neue Schritte zu wagen.