Hier und jetzt
Ich kann gut drei Wochen meines Urlaub an einem Ort verbringen. Dabei entdecke ich nach und nach vieles Interessante, was sich mir nicht auf den ersten Blick erschlossen hat. Da sind z.B. die Biber, die zu einer bestimmten Abendstunde richtig aktiv werden. Ich sehe den Zusammenhang von Vollmond und Gezeiten und vieles mehr. Plötzlich habe ich für all das Zeit. Manchmal wundere ich mich dann über die Wohnmobilfahrer, die so viele Ortswechsel schaffen und sicher ganz anderes und viel mehr sehen als ich.
Ich muss an eine Geschichte von Anthony de Mello denken, die so anfängt: „Ein alter und weiser Schiffer lebte davon, Pilger mit seinem Boot zu einem Walfahrtsort zu bringen.“ Eines Tages fragte ihn einer der Pilger: „Warst du denn auch schon einmal dort?“ „Nein, bis jetzt noch nicht, denn ich habe noch nicht alles entdeckt, was der Fluss mir zu geben hat. In diesem Fluss finde ich Weisheit, Frieden, finde ich Gott.“ Die Pilger hingegen hatten nicht einmal den Fluss wahrgenommen, so sehr waren ihre Gedanken auf den Walfahrtsort fixiert. Das machte sie für den Fluss blind.
In meinen Alltag packe ich ziemlich viel hinein. Ich pendle häufig zwischen Wohnung und Büro, verschiedenen Sitzungen, Besprechungen und Besuchen. Ich kenne die Notwendigkeit, da zu sein, wo ich gerade bin. Und trotzdem, wenn ich in das Auto steige, überlege ich schon, was ich gleich im Büro als erstes erledigen muss. Während einer Sitzung bringe ich meinen Terminkalender auf den neuesten Stand. Wenn ich abends einen Film gucke, erledige ich dabei oft noch die Bügelwäsche, wenn ich schlafen gehe, beschäftigt mich das, was morgen ist.
Kinder sind da ganz anders. Sie können sich selbstvergessen und intensiv mit einer Sache befassen und dabei alles um sich herum vergessen. Ich bewundere sie dafür. Als Erwachsene muss ich das erst wieder lernen: „Da zu sein, wo ich gerade bin“.
Die „Notwendigkeit, da zu sein, wo ich gerade bin“ heißt nichts anderes als achtsam zu leben, im Hier und Jetzt, gegenwärtig zu sein, nach dem Motto:
Wenn ich stehe, dann stehe ich,
wenn ich gehe, dann gehe ich,
wenn ich sitze, dann sitze ich,
wenn ich esse, dann esse ich,
wenn ich spreche, dann spreche ich...
und nicht, wenn ich sitze, dann stehe ich schon,
wenn ich stehe, dann laufe ich schon,
wenn ich laufe, dann bin ich schon am Ziel.
Mir hilft eine Übung: Innehalten, den Atem kommen und gehen lassen. Einfach da sein, als Gottes geliebtes Kind. Und zu wissen: Auch wenn mir das nicht immer gelingt und ich ganz viel Bemühen hineinlege in die Achtsamkeit auf mein Leben und Tun – Gott hat längst auf mich Acht.