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Eine Sendung von

Pastorin im Bund evangelisch-freikirchlicher Gemeinden, Marburg

Gott hinter der Leinwand

Gott hinter der Leinwand

Habemus papam - Ein Papst büxt aus

Ein neuer Papst wird gewählt. Jedenfalls im Kino in diesen Wochen, im Film „Habemus papam“ des italienischen Regisseurs Nanni Moretti. Wie bei einer wirklichen Papst-Wahl ziehen sich auch im Film die Kardinäle zurück und schreiben den Namen desjenigen auf, den sie als von Gott beauftragt ansehen. Der stille und sympathische Kardinal Melville ist von seiner Wahl überrascht.

Aber erst in dem Moment, als er schon darauf vorbereitet wird, gleich seinen ersten päpstlichen Segen für die Menschen auf dem Petersplatz zu sprechen, bricht es aus ihm heraus. Während die Worte „Habemus papam“ „Wir haben einen Papst“ erklingen, wird Melville bewusst: Ich kann das nicht!

Melville zieht sich zurück, der Balkon bleibt leer.
Was nun?
Melville sucht eine Therapeutin außerhalb des Vatikans auf.

Als er zum Papst gewählt wurde, hatte er etwas Merkwürdiges erlebt. Bilder seiner Familie, Erinnerungen aus seiner bisherigen Lebensgeschichte schienen sich vor seinem inneren Auge in Luft aufzulösen. Er wusste plötzlich gar nicht mehr, wer er war.

Bei der Spurensuche im Gespräch mit der Therapeutin erinnert er sich wieder, wie es früher war. Seine Schwester und er hatten bei einer Schauspielschule vorgesprochen. Sie wurde genommen, er nicht. Er hatte Schauspieler werden wollen!

Melville fährt nicht mit seinen Begleitern zurück in den Vatikan, sondern büxt aus. Er braucht Zeit, um sich wieder zu finden. So zieht er durch die Straßen Roms, als einer von vielen.

Schließlich landet er in einem Theater, schaut bei den Proben zu, kommt mit den Schauspielern ins Gespräch und: er ist glücklich.
Als schließlich die Premiere beginnt, sitzt er im Publikum und strahlt einen großen Frieden aus.

Im Theater, noch während der Premierenvorstellung, findet ihn schließlich auch die Schweizer Garde. Er wehrt sich nicht.
Doch die „Rolle seines Lebens“, wie es vielleicht andere sehen würden, Papst zu werden, die lehnt er ab.

Moretti geht es mit seinem Film nicht um eine Kritik an der katholischen Kirche. Der Regisseur Moretti will herausfordern nachzudenken: Wie gehen wir mit den Erwartungen um, die andere und wir selbst an uns haben? (1)
Moretti selbst tritt im Film zwar als atheistischer Psychoanalytiker auf. Aber für mich ist sein therapeutischer Gedanke ein zutiefst christlicher: Was macht den Kern eines bestimmten Menschen aus?

Jeder Mensch findet sich in unterschiedlichen Rollen wieder. In der Familie, im Beruf, in der Freizeit. Manche Rollen sind uns vielleicht zu klein, und andere zu groß. In manche wachsen wir auch hinein. Aber wenn ein Mensch eine Rolle auslebt, in der er sich stark verbiegen muss, dann entsteht eine große Leere in ihm. Meistens leiden dann auch die anderen unter seinem Verhalten. Deshalb ist es so mutig und so klug, wie Melville sich im Film die Freiheit nimmt, neu herauszufinden, wer er eigentlich ist, und wo er seinen Platz in dieser Welt sieht.

Nichts anderes wünscht sich Gott von uns.

 

(1) Interview Moretti mit Margret Köhler, Online-Text Kleine Zeitung, www.kleinezeitung.at/kultur/4315482/Interview_Das-Groteske-hinter-den-Figuren