Frau Weiß und der Krieg – Kriegstraumata
Am vergangenen Wochenende habe ich sie wieder besucht, die 91 – jährige Frau Weiß. Sie stammt aus Ostpreußen. Wenn sie spricht, schwingen in ihren Worten Klänge aus einer Welt mit, die es nicht mehr gibt. In ihren Gedanken ist sie meistens in der Ferne, im Garten ihrer Kindheit. Sie erzählt von früher, vom ihrem Leben auf dem großen Gut: Sommer und Winter – Kinderspiele und Elternpflichten. Damals, so sagt sie, damals war alles gut! Während sie erzählt, sehe ich den Garten vor mir. Die Sonne scheint, die Bäume werfen Schatten, lachende Menschen bewegen sich zwischen den Blumenrabatten.
Im Januar 1945 mussten sie fliehen. Sie hatte gerade die Schule beendet. Es war eine grausame Flucht, Menschen starben und wurden getötet. Sie selbst geriet mehrmals in die Hände russischer Soldaten. Mit ihrer Schwester kam sie irgendwann in Frankfurt an. Der Rest ihrer Familie war auf der Flicht umgekommen. Nach vielen Rückschlägen gelang es ihr schließlich, ein neues bescheidenes Leben aufbauen.
Die Erfahrungen der Flucht haben ihr Leben tief gezeichnet. Sie hat nicht erleben können, in einer Partnerschaft geborgen zu sein. Sie hat Narben, die die Jüngeren nicht sehen können und Verletzungen, die sie nicht in Worte fassen kann. Nur manchmal zeigt sie auf Wunde am Bein, die nie heilt und sagt: Das ist mein „Russenbein“. Sie blieb verletzlich wie ein Vogel, der aus dem Nest gefallen war, von ständiger Unsicherheit getrieben.
In der Kriegsgeneration sind viele so schlimm seelisch verletzt. Forscher nennen das, was viele in dieser Generation erfahren haben, Traumata. Traumata sind Erfahrungen, die so erschütternd waren oder soviel Angst hervorgerufen haben, dass Körper, Geist und Seele diese Ereignisse nicht verkraften können: Todesängste….Nach einer traumatischen Erfahrung ist jemand nicht mehr der gleiche Mensch wie vorher. Professionelle Hilfe hat es für die Generation der Kriegskinder in Deutschland jahrzehntelang nicht gegeben. Der Herausforderungen in Hier und Jetzt – in Wiederaufbau und Wirtschaftswunder, haben die Verletzungen in den Hintergrund treten lassen. Jetzt im Alter sind sie bei vielen wieder da.
Die Altersdemenz von Frau Weiß hat viele Erinnerungsdetails ausgelöscht. Dadurch ist sie ihrer Kindheit wieder näher gerückt. An den Wänden ihres kleinen Zimmers im Altersheim hängen die Bilder der alten Parkanlage. Während ihre Kräfte weniger werden und ihre Gedanken verschwimmen, ist sie eigentlich immer dort, im Garten ihrer Kindheit, in der anderen Welt: Dort, wo alles gut war oder wieder gut werden wird! Manchmal spricht Frau Weiß von dieser Hoffnung.