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Eine Sendung von

Hochschulpfarrerin an der Evangelischen Studierendengemeinde (ESG) in Mainz

Desmond Tutu

Desmond Tutu

Im letzten Herbst war ich einen Monat in San Francisco im Studienurlaub. In die Zeit fiel der 80. Geburtstag des ehemaligen südafrikanischen Erzbischofs Desmond Tutu. Ich kenne ihn persönlich, weil ich vor vielen Jahren in Kapstadt in Südafrika in einer Kirchengemeinde gearbeitet habe, als er noch Erzbischof war. Desmond Tutu ist für mich ein wichtiges Vorbild: Er ist glaubwürdig, und sein christlicher Glaube hat eine starke Ausstrahlung. Deshalb bin ich gerne in einen Jazzclub in San Francisco gegangen, wo zu seinem 80. Geburtstag ein Buch über ihn vorgestellt wurde. Darin erzählen Männer und Frauen von persönlichen Erlebnissen mit dem ehemaligen südafrikanischen Erzbischof. Diese Geschichten bezeugen, wie viele Menschen er in seinem Land und weit darüber hinaus mit seinem Leben und seinen Predigten berührt hat. Als schwarzer Bischof hat er an Demonstrationen gegen das Apartheid-Regime in Südafrika teilgenommen und dabei sein Leben riskiert.

Er war einer der Wortführer der damals verbotenen Oppositionspartei ANC. Als überzeugter Christ erhob er unerschrocken die Stimme gegen das Unrechtsregime und setzte sich für Respekt und Nächstenliebe ein. Er predigte: Alle Menschen sind vor Gott gleich, unabhängig von ihrer Hautfarbe und ihrer Herkunft. Dann wurde das Apartheid- Regime endlich abgeschafft, und Nelson Mandela wurde zum Präsidenten gewählt. Desmond Tutu wurde zum Vorsitzenden der „Wahrheits- und Versöhnungskommission“ in Südafrika berufen. Das war ein Gremium, das sich die Lebensgeschichten von Hunderten von Opfern des Unrechtregimes angehört und ihnen ihre Würde zurückgegeben hat. Die Kommission hörte sich aber auch die Berichte der Täter an. Wer seine Taten gestand, dem wurde Straffreiheit versprochen. Das war in Südafrika umstritten. Trotz der Proteste setzten Desmond Tutu und viele Gleichgesinnte in diesem schmerzhaften Prozess auf die christlichen Werte von Gewaltfreiheit und Versöhnung. Sie argumentierten: „Wir leben in einem Land, in dem Schwarze und Weiße leben und Menschen afrikanischer, asiatischer oder europäischer Herkunft zuhause sind. Nach fast hundert Jahren Gewalt und Rassenhass können wir nur zusammenwachsen, wenn wir vergeben.“

Nelson Mandela, Desmond Tutu und vielen anderen ist es zu danken, dass die Mehrheit Südafrikas sich dafür entschieden hat, ihre Vergangenheit ohne Gewalt aufzuarbeiten.

Noch heute denke ich gerne daran: Als ich in Südafrika war, wurde jeden Morgen um acht in der Bischofskapelle in Kapstadt eine Andacht gefeiert. Danach lud Erzbischof Tutu alle Kolleginnen, Kollegen und Angestellten zum Tee ein. Es war für mich jeden morgen eine „heilige Zeit“, die ich nicht ein einziges Mal verpasst habe. Desmond Tutu ist ein kleiner Mann. Er ist gerade mal 1,60 Meter groß. Aber seine wachen Augen, sein neugieriger Blick und seine humorvollen Erzählungen werde ich nie vergessen. Seine Predigten ermutigen und ermahnen mich bis heute, respektvoll mit Menschen umzugehen, die ich nicht kenne. Er hat immer abgelehnt, Menschen ein Etikett zu verpassen: schwarz oder weiß, gut oder böse, schuldig oder nichtschuldig. Er pflegte zu sagen: „Wir alle sind verstrickt ins Leben. Und deshalb ist niemand von uns ohne Schuld. Wir brauchen keine Moralapostel, sondern Menschen, die sich für Frieden und Gerechtigkeit einsetzen.“ Nach dem Tee verabschiedete Desmond Tutu jeden einzelnen und segnete uns. Seinen Segen spüre ich noch heute.