Gott hinter der Leinwand: Almanya – Willkommen in Deutschland?
Wenn man sechs Jahre alt ist und ein kleiner Junge, dann möchte man gern dazugehören. Erst recht, wenn es darum geht, dass Fußball gespielt wird und die Mannschaften gewählt werden. So geht es auch dem kleinen Cenk Yilmaz im Film „Almanya – Willkommen in Deutschland“. Als es auf dem Schulhof heißt: „Deutsche gegen Türken!“, will ihn aber keiner bei sich mitspielen lassen. Denn seine Mutter ist Deutsche ist, sein Vater dagegen Türke. Wenn man sechs Jahre alt ist und ein kleiner Junge, dann kann man so etwas nicht verstehen. Es kommt zu einer Prügelei und Cenk holt sich ein blaues Auge.
Beim Familientreffen der türkischen Großfamilie wird Cenk dann natürlich darauf angesprochen. Von allen. Und alle sind entrüstet: „Was? Du bist kein richtiger Türke?“ Und Cenk antwortet: „Wenn wir alle Türken sind, warum sind wir dann alle hier?“ Damit stellen die zwei türkischen Regisseurinnen die Frage, wer man eigentlich ist und wo man zwischen zwei Kulturen zu Hause ist. Sie geben damit auch mir als Deutschem die Chance, sie als Türken besser zu verstehen.
Es ist Cenks Großvater Hüseyin, aus dessen Sicht die Geschichte erzählt wird. Er kam als Folge des deutschen Wirtschaftswunders nach Almanya und wurde als 1.000.0001. Gastarbeiter registriert! Frau und Kinder holte er später vor allem deshalb nach, weil er hofft, dass die Deutschen ihnen Ordnung beibringen. Ein Sohn hatte nämlich in der Türkei angefangen, die Schule zu schwänzen. Für die Kinder ist das Land fremd: Einen Dackel halten sie für eine Riesenratte. Sie wundern sich über die Ungläubigen, die nicht nur Schweinefleisch zu sich nehmen, sondern sogar jeden Sonntag feiern, dass sie einen Menschen gekreuzigt haben und auch DEN essen. All das Fremde macht ihnen am Anfang Angst. Doch mit der Zeit lassen sie und erst recht ihre Kinder sich auf die deutsche Kultur ein und schlagen ihre Wurzeln darin.
Deshalb schlägt die Ankündigung von Großvater Hüselyin beim Familientreffen wie eine Bombe ein: „Ich habe in der Türkei ein Haus gekauft. Im Sommer kommt ihr alle mit und helft mir, es in Ordnung zu bringen!“ Alle sind einigermaßen entsetzt. Auch wenn sie stolze Türken sind, ist ihnen DAS doch etwas zu viel des Guten. So ernst hatten sie das mit dem Türke-sein vorhin auch nicht gemeint, als der kleine Cenk vom Fußball erzählt hat. Aber um des Großvaters willen fahren letztlich doch alle mit. Und merken, dass sie in ihrer alten Heimat nicht mehr zu Hause sind. Unterwegs zeigt ihnen der Großvater einen Brief. Er soll bei einer Veranstaltung im Bundeskanzleramt als 1.000.001. Gastarbeiter eine Rede halten. Die übt er mit dem kleinen Cenk. Denn der kann nämlich besser Deutsch als sein Großvater. Doch dann stirbt der Großvater mitten auf der Fahrt. Und darf auf dem muslimischen Friedhof in der Türkei nicht beerdigt werden, weil er einen deutschen Pass hat. Seine Rede in Deutschland hält dann der kleine Enkel. Er kannte sie ja: „Mein Großvater wollte danke sagen, dass er hier sein kann, in Deutschland. Manchmal war es gut. Manchmal war es schlecht. Aber am Ende war er hier glücklich. Und das hätte er früher niemals für möglich gehalten.“ Der Abspann des Films zeigt das berühmte Zitat von Max Frisch: „Wir riefen Arbeitskräfte und es kamen Menschen.“
Vor mir im Kino sitzt ein deutscher Mann mit seiner türkischen Frau. Am Ende des Films klatschen sie und das ganze Kino stimmt ein. Man kann sein Glück auch dort finden, wo einem Dinge und Menschen zunächst fremd sind. Auch als Deutscher, wenn man sich auf die Fremden im eigenen Land einlässt. Und sie als Menschen entdeckt. Nicht anders hat Gott sich das gedacht.