hr2 ZUSPRUCH
hr2

Eine Sendung von

Der Dornstrauch

Der Dornstrauch

Als Adam und Eva aus dem Paradies vertrieben wurden, informierte Gott sie über ihre Zukunft. „Verflucht sei der Acker um deinetwillen, mit Mühsal sollst du dich von ihm nähren dein Leben lang. Dornen und Disteln soll er tragen.“ (1. Mose 3,17f) Dornen und Disteln sind hier mehr als nur lästiges Unkraut. Sie sind ein Gleichnis für unser Erdendasein. Denn Leben bedeutet harte Arbeit, bedeutet Widerstände zu überwinden, bedeutet sinnbildlich, immer wieder Dornen und Disteln zu roden.

Aber das ist nicht alles. Disteln zum Beispiel haben wunderschöne Blüten oder sind, wie die Mariendistel, wirkungsvolle Heilpflanzen. Und der Dornstrauch kommt später in der Bibel zu hohen Ehren. Gerade er, der Verachtete und Niedrige, wird zum Träger besonderer Botschaften. Eine davon ergeht an Mose. Das geschah beim Hüten der Schafe. Plötzlich „erschien ihm der Engel des Herrn in einer feurigen Flamme aus dem Dornbusch. Und er sah, dass der Busch im Feuer brannte, doch nicht verzehrt wurde.“ (2. Mose 3,2) Mose hört eine Stimme, die Stimme Gottes. Sie beruft ihn zum Hirten ganz anderer Schafe. Er soll sein geknechtetes Volk aus Ägypten in die Freiheit führen. Am Dornstrauch geschieht die Wende; ausgerechnet dort vernimmt der Schafhirte den Ruf seines Lebens. Damit hat er einen gefährlichen politischen Auftrag erhalten. Er gleicht den Impulsen, die derzeit die Menschen in Nordafrika und dem Vorderen Orient gegen ihre Diktatoren rebellieren lassen.

Aber hätte es Gott nicht besser angestanden, einen ansehnlichen Baum als Offenbarungsort zu wählen, zum Beispiel eine stattliche Eiche? Aber nein, Gott kommt überraschend und wählt den Niedrigen, den Verachteten und verklärt ihn durch sein göttliches Feuer.

Im Neuen Testament spielt der Dornstrauch eine Rolle in der Karfreitagsgeschichte. Der gefangene Jesus wird von den Soldaten mit Dornen gekrönt. Gerade diese Krone, die doch nur Folter, nur Spott und Hohn ausdrücken sollte, erweist sich als die wahre Krone des Menschensohnes. Der Auferstandene wird später als König besungen werden. Gestern am Himmelfahrtstag ist in manchen Gottesdiensten ein Lied erklungen, es beginnt mit dem Vers: „Jesus Christus herrscht als König, alles wird ihm untertänig.“ Zwar hat die spätere christliche Frömmigkeit den Auferstandenen mit Glanz und Gloria umgeben: seine Krone bleibt die Dornenkrone.

Sie erzählt von der Erhöhung der Erniedrigten und Verachteten. Sie spricht – nicht nur, aber vor allem – zu den Leidenden. Denn sie wissen, was Schmerz und Hilflosigkeit bedeutet. Im Lied „Jesus Christus herrscht als König“ findet sich deshalb die trostvolle Strophe: „Zwar auch Kreuz drückt Christi Glieder / hier auf kurze Zeiten nieder, / und das Leiden geht zuvor. / Nur Geduld, es folgen Freuden; / nichts kann sie von Jesus scheiden, / und ihr Haupt zieht sie empor.“ (EG 123,8)