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Eine Sendung von

Alt-Wildungen

Auch die alten Väter waren einmal jung

Auch die alten Väter waren einmal jung

Ich muss ihnen etwas erzählen. Nicht alle Trauergespräche, die ich führe, sind die ganze Zeit traurig. Manche schon und ich will hier auch weiter nichts darüber sagen. Es gibt aber Gespräche, da wird auch mal gelächelt oder gelacht. Wenn die alten Mütter, wenn die alten Väter gehen, dann gibt es so viele Erinnerungen. Und manche von ihnen und gerade die schönsten sind traurig und fröhlich zugleich. Fröhlich, weil man in dieser oder jenen kleinen Geschichte den Papa wiedererkennt. Und es ist traurig, weil man dann erst so richtig spürt, dass er nicht mehr da ist.

Es ist schon ein eigentümliches Gefühl, wenn man im Erzählen mit einem Mal spürt: Die alten Väter und Mütter waren auch einmal junge Leute. So wie der biblische Jakob. Einer der drei „Erzväter“ ist er. Wenn ich das höre, muss ich immer an die Bilder amerikanischer Bibelfilme denken. „Erzvater“ ist dann ein sehr alter Mann mit einem wallenden Bart und zerfurchter Stirn, in dessen Gesicht sich Strenge und Güte die Waage halten. Wenn Jakob im Alter jemals wirklich so war – er war doch einmal jung. Als junger Mann verließ er seine Familie. Er ‚musste‘ verlassen, denn er hatte seinen Bruder übel betrogen. In der Nacht legt er sich auf einem Stein nieder, der war noch warm von der Sonne. Im Traum sieht er eine Leiter, die hat ihren Fuß gerade an der Stelle, wo er liegt, ihre Spitze aber reicht bis an den Thron Gottes. Engel steigen auf der Leiter herauf und herab. Gott segnet den schlafenden Jakob und sagt: Ich bin mit dir und will dich behüten, wo du hinziehst. Jakob wird weit ziehen. Er wird ein reicher Mann. Wenn man mitliest, denkt man: Das liegt daran, dass er so schlau ist. Dann wieder: Er hat einfach Glück gehabt und schließlich: Er ist halt doch gesegnet.

Nun kann einer sagen: Halt, entweder du sagst: Er war schlau, oder er hatte Glück, oder aber er war gesegnet. Ihm würde ich sagen: Du hast recht und zwar dreimal hast du recht. Wenn ich in den Augenblick betrachte, als es geschieht, denke ich: der Jakob ist ein pfiffiger Kerl. Ein bisschen später denke ich dann: Er hat großes Glück gehabt. Als er dann gereift mit der ganzen Familie nach Hause zurückkehrt, versöhnt er sich mit seinem Bruder. Ein gesegneter Mensch, im Nachhinein betrachtet. Fähigkeiten, Glück und Segen sind nicht so widersprüchlich, wie es auf den ersten Blick aussieht. Sie scheinen sich miteinander zu verwinden.