Die Sehnsucht nach dem Leichten
Es gibt eine Sehnsucht nach dem Leichten, finde ich. Nach etwas mehr Unbeschwertheit. Die letzten Jahre waren einfach anstrengend. Die Jahre der Pandemie, dann der Krieg Russlands gegen die Ukraine. Krieg auch in Israel und im Gaza Streifen im Nahen Osten. Früher bekamen wir das alles nur sehr zögerlich mit. Die Nachrichten waren nicht so schnell bei uns. Heute aber kommt alles rund um die Uhr aufs Handy oder ins Fernsehen. Man kann sich der Welt kaum noch entziehen. Auch wenn man nicht hinschaut - es ist ja trotzdem in allen Köpfen und Seelen. Das Leben ist schwer geworden.
Darum gibt es eine Sehnsucht nach dem Leichten. Manchmal hört man sie klingen in dieser Musik: Sehnsucht nach einer anderen, einer neuen Welt.
Musik: Antonin Dvorák - 2. Satz aus der Sinfonie „Aus der neuen Welt“
Sehnsucht und Furcht treiben uns an und hindern uns
Jeder Mensch, vermute ich, ist voller Sehnsucht; manchmal nach einem Leben, das besser ist als das Leben, das gerade gelebt werden muss. Manche werden überhaupt nur am Leben gehalten durch das, was sie ersehnen. Es ist die Sehnsucht, die uns antreibt zu wichtigen Taten - und dann ist es auch wieder die Furcht, die uns oft hindert oder lähmt. Sehnsucht und Furcht, in dieser Zerrissenheit verbringen wir oft das Leben. Gäbe es doch etwas, was uns manchmal erlöst aus dieser Spannung. Gäbe es doch manchmal einfach etwas Leichtes.
Jesus sprach das aus, was die Menschen, die zu ihm kamen, in ihren Herzen beschäftigte
Darum sind Menschen damals zu Jesus gekommen, vermute ich. Sie sehnten sich nach etwas Leichtem. Sie wollten ihn hören, die Menschen; seine Stimme, seine Worte - sie wollten sein Gesicht sehen und seine Gesten. Sie hingen an Jesus; aber nicht wegen der Wunder, die er gelegentlich getan hat, sondern erst einmal wegen der Worte, die er gesprochen hat. Jesus sprach aus, was sie in ihren Herzen beschäftigte, beunruhigte, bedrängte.
Die Kranken wollten nicht einfach nur gesund werden, sie wollten auch heil sein. Die Armen wollten nicht einfach nur Brot, vor allem wollten sie Wertschätzung. Die Traurigen wollten nicht alleine Trost, sie wollten auch Hoffnung über den Tag hinaus. Sie alle sehnten sich nach etwas Leichtem im Leben.
Die Sehnsucht nach einer neuen Welt
Die Menschen, die sich zu Jesus aufmachten, wollten nicht einfach nur gute Worte hören von einem Wanderprediger namens Jesus. Sie wollten viel mehr aus diesen Worten heraushören. Sie wollten, dass ihre Sehnsucht nach einer neuen Welt ernst genommen wird; sie wollten hören und spüren, dass es diese neue Welt wirklich gibt. Sie wollten ein wenig Erfüllung für ihre Sehnsucht nach Leichtem - und sei es nur durch ein paar Worte des Menschen, der fest an Gottes andere Welt in dieser Welt glaubt.
Die Bergpredigt
Selig sind die Friedfertigen, hat Jesus dann zu ihnen gesagt (Matthäus 5), denn sie werden Gottes Kinder heißen. Selig sind die Sanftmütigen, denn sie werden das Erdreich besitzen. Selig sind, die da Leid tragen, sie sollen getröstet werden. So fing er an zu reden, Jesus, damals am Berg. Und dann kommt er zu dem Leichten.
Musik: Antonin Dvorák, 2. Satz aus der Sinfonie „Aus der neuen Welt“
Die Sehnsucht nach etwas Leichtem im Leben
Selig sind … So hat Jesus angefangen damals zu reden, am Berg, als die Menschen gekommen waren mit ihrer Sehnsucht. ‚Selig’ hat er die genannt, die an ihrem schweren Leben zu tragen haben. Das beruhigte sie etwas. Aber es war längst nicht genug. Sie wollten es noch genauer, noch deutlicher, noch liebevoller hören. Ihre Sehnsucht nach Gottes anderer sollte kein schöner Traum bleiben, sondern Wirklichkeit werden hier auf Erden, mitten in ihrem Leben. Ihre Sehnsucht nach etwas Leichtem im Leben sollte alltäglich werden, hautnah sozusagen. Darauf hofften sie.
Und Jesus fühlte ihre Not und ihre Hoffnung auf ihn. Er wollte ihnen etwas geben. Er hatte noch mehr Worte. Die waren von einer besonderer Kraft - als kämen sie direkt aus dem Himmel voller Licht. Er sagte:
Sorget euch nicht...
Darum sage ich euch: Sorget nicht um euer Leben, was ihr essen und trinken werdet; auch nicht um euren Leib, was ihr anziehen werdet. Ist nicht das Leben mehr als die Nahrung und der Leib mehr als die Kleidung? Seht die Vögel unter dem Himmel an: Sie säen nicht, sie ernten nicht, sie sammeln nicht in die Scheunen; und euer himmlischer Vater ernährt sie doch. …
Und warum sorgt ihr euch um die Kleidung? Schaut die Lilien auf dem Feld an, wie sie wachsen: Sie arbeiten nicht, auch spinnen sie nicht. Ich sage euch, dass auch der König Salomo in aller seiner Herrlichkeit nicht gekleidet gewesen ist wie eine von ihnen. Wenn nun Gott das Gras auf dem Feld so kleidet, das doch heute steht und morgen in den Ofen geworfen wird: Sollte er das nicht viel mehr für euch tun, ihr Kleingläubigen? Darum sollt ihr nicht sorgen und sagen: Was werden wir essen? Was werden wir trinken? Womit werden wir uns kleiden? Nach dem allen trachten die Heiden. Denn euer himmlischer Vater weiß, dass ihr all dessen bedürft.
Trachtet zuerst nach dem Reich Gottes und nach seiner Gerechtigkeit, so wird euch das alles zufallen. Darum sorgt nicht für morgen, denn der morgige Tag wird für sich selber sorgen. Es ist genug, dass jeder Tag seine eigene Plage hat.
So herrliche Worte, voller Nüchternheit und Glanz. Die Herzen und Ohren der Sehnsüchtigen waren weit offen und hörten Worte aus einer anderen Welt, aus der Welt voller Gottvertrauen, dem Reich Gottes, dem Reich des Leichten.
Erst einmal hörten Menschen das voller Dankbarkeit. Später aber regte sich auch leiser Widerstand. Geht das denn - leben ohne Sorgen? Leben wie Vögel am Himmel und Lilien auf dem Felde? Geht das?
Kann man ganz ohne Sorgen leben?
Nein, das geht nicht. Kein Mensch kann sorglos sein. Wer uns die Sorgen wegwischen will, will uns gleichgültig machen. Wer uns alle Sorgen nehmen will, möchte nur in Ruhe die eigenen Geschäfte machen und seine Schäfchen ins Trockene bringen. Wer ständig ruft ‚Sorge dich nicht‘ will uns abstumpfen, leer machen und uns genau das Leben nehmen, das er uns verspricht. Wer uns alle Sorgen wegnehmen will, wer uns mit Musik, Ablenkung und immer neuen Vergnügungen süße Träume verspricht, will uns das Leben nicht leichter machen, sondern will uns leichtfertig machen.
Wer lebt, hat Sorgen, das weiß auch Jesus. Was seine Worte aber trotzdem so wertvoll macht, unvergleichlich, ist nicht, dass sie uns alle Sorgen wegnehmen, sondern von einem ganz besonderen Vertrauen spricht, das nicht von dieser Welt ist: Vertrauen zu Gott macht leichter.
Musik: Baldassare Galuppi, 1. Satz aus der Klaviersonate Nr. 5
Worte wie Paukenschläge
Jesu Worte sind wie kleine Paukenschläge gegen die Welt, die voller Sorgen, Angst und Schmerzen ist. Wie ängstigen wir uns immer, wenn die Nahrung vergiftet ist wegen der Gier nach immer mehr Geld und Verdienst. Wie groß sind die Schmerzen der Seele, wenn Kinder und Jugendliche ihre Sehnsucht zu Süchten machen und vor der Welt davon laufen, weil sie ihr Leben nicht mehr ertragen. Und dennoch, oder gerade deswegen, spricht Jesus von einem Vertrauen, das nicht von dieser Welt ist, aber für diese Welt: Euer himmlischer Vater weiß, was ihr braucht. Da sitzen Menschen am Berg und hören Jesus, hören vom einzigartigen Gottvertrauen dieses Menschen, der bald darauf Sohn Gottes genannt wird: Sorgt nicht um euer Leben ... Ist das kühn? Oder ist das frech?
Vertrauen, das aus der Welt Gottes kommt
Nein, das ist Vertrauen. Tiefes Vertrauen, das aus einer anderen Welt kommt, der Welt Gottes. Dort bleibt es aber nicht, sondern wird von Jesus mitgenommen - mitten hinein in unsere Welt, in unsere Sorgen, Ängste und Schmerzen. Vertrauen gehört dahin, wo Misstrauen ist. Jesus spricht in meine Unruhe, in meine Sehnsucht: Sorgt euch nicht; sorgt euch nicht so viel. Es wird doch auch für euch gesorgt. Jesus hat in diesem Gottvertrauen gelebt und ist in diesem Gottvertrauen gestorben.
Was uns wirklich helfen soll in dieser Welt der Sorgen, das kann nicht von dieser Welt sein: die Fürsorge Gottes für uns. Was uns das Leben wirklich leichter machen kann, ist das Vertrauen. Ja, wir sorgen uns - aber es wird auch für uns gesorgt.
Musik: Baldassare Galuppi, 1. Satz aus der Klaviersonate Nr. 5
Wie bekommt man Vertrauen?
Und was machen wir nun mit alldem? Was hilft uns das Gottvertrauen Jesu, wenn wir es nicht haben? Was sollen wir anfangen mit seinen schönen Worten aus einer anderen Welt - in unserer Welt? Das ist eine gute und ernste Frage. Wir möchten sie zwar nicht haben, die vielen Sorgen, aber wir haben sie trotzdem. Sie treiben uns um, machen uns schlaflos und beschweren uns die Tage. Wie bekommt man denn Vertrauen?
Es gibt da nur einen Weg. Das Vertrauen wächst und kann größer werden, wenn ich anderen Vertrauen gebe, schenke. Das klingt schlicht, aber es ist genauso. Ich kann zwar auf Vertrauen warten, aber von alleine kommt es wohl eher selten. Vertrauen wird dann groß, wenn ich Vertrauen wage, wenn ich es wirklich will.
Jesus vertraute Gott selbst dann noch, als er sich von ihm verlassen fühlte
Was Jesus unvergleichlich macht ist nicht, dass er ohne Sorgen lebte. Jesus war kein Träumer. Was Jesus wertvoll macht ist, dass sein Vertrauen auf Gott immer noch ein wenig größer war als seine Sorge um sich selber, um seine Lieben, um die Welt. Auch in der Welt Jesu gab es ja Streit, Krieg, Krankheit und Hunger. Dagegen wollte e und hat er das ihm Mögliche getan. Aber er hat nicht kopflos drauflos gehandelt, sondern hat aus dem tiefen Vertrauen heraus gehandelt, dass Gott bei ihm ist und zu ihm hält. Das machte ihm alles leichter; etwas weniger sorgenvoller. Er hat immer sein Möglichstes getan, auch wenn die Möglichkeiten klein waren. Und alles andere hat er Gott anbefohlen und konnte dann etwas ruhiger, etwas getroster schlafen. Diese Welt ist nicht alles, wusste Jesus. Das machte ihm die Alltage etwas leichter, sogar das ganz Schwere, sogar die Hilflosigkeit. Er vertraute Gott selbst dann noch, als er sich von ihm verlassen fühlte.
Der Pfarrer und der Berg
Es gibt die zauberhaft leichte Geschichte von einem Pfarrer, der sich viele Sorgen machte um die Welt und das Leben der Menschen. Darum betete er viel. Ich war einmal am Meer, sagte er, vor Jahren. Da war mir schwer ums Herz. Ich wollte so gerne etwas leichter werden. Da habe ich meinen Kopf in den Händen vergraben. Und habe gebetet, dass sich ein kleiner Berg vor mir ins Meer stürzt. Wie der Herr Jesus ja einmal gesagt hat (Matthäus 21,21). Man soll beten, hat der Herr Jesus gesagt, dass der Berg sich ins Meer stürzt - dann geschieht es. Mit diesem Vertrauen.
Ich hab’s getan, sagt der alte Pfarrer, genauso habe ich‘s getan. Ich habe gebetet und gebetet, wie der Herr Jesus es befohlen hat. vertrauensvoll, mit ganzer Kraft, den Kopf in den Händen vergraben. Und dann, nach einer Weile, hebe ich meinen Kopf wieder an, schaue vor mich hin - und sehe, dass der Berg da ist. Sieh mal an, denke ich da, sieh mal an, der Berg ist zurückgekommen. Und dann lacht der alte Pfarrer. Und hat Tränen in den Augen.
Musik: Baldassare Galuppi, 1. Satz aus der Klaviersonate Nr. 5
Glauben heißt, alles für möglich halten
Ist doch herrlich, so ein Glaube mit Tränen in den Augen. Glaube ist für möglich halten. Alles. Auch das Unvorstellbare. Wenn der Berg noch da steht, war er eben zwischendurch mal weg. So sind sie, die an Gott glauben, auf ihn hoffen. Unerschütterlich in ihrem Vertrauen. Sie setzen nicht auf ihre Wünsche, sondern auf seine Kraft. Sie sehen nicht nur einen Schritt weiter, sondern viele; achten nicht nur auf diesen Tag, sondern auf Wochen und Monate. Und wissen sich behütet, allezeit. Wer glaubt, hält für möglich. Nicht nur, dass Berge ins Meer stürzen. Noch viel mehr. Dass Kranke heiter bleiben und Verwirrte getröstet werden; dass alle Schuld einmal gesühnt wird und der Himmel auf uns wartet. Der glaubt, kennt mehr als diesen Tag und unsere Welt. Und weiß doch, was heute schon möglich ist: Maßloses Vertrauen. Darauf, dass ich nicht alles schaffen alleine muss. Und darauf, dass einmal alles gut wird.
Ich möchte Sie um ein solches Vertrauen bitten; um Ihr großes Vertrauen zu dem, der die Welt und alles Leben geschaffen hat und erhalten will. Ich kann Ihnen die Sorgen nicht nehmen, aber ich möchte Sie um Ihr Vertrauen bitten, also darum, dass Ihr Zutrauen zu Gott immer ein wenig größer bleibt als Ihre Sorgen.
Unsere Sorgen Gott 'anbefehlen'
Lassen Sie es mich mit einem alten Wort sagen: Ich möchte, dass wir unsere Sorgen Gott ‚anbefehlen’; dass wir sie einbetten in ein großes Vertrauen zu Gott. Dann werden wir besser und klarer erkennen, wo wir selber tätig werden können oder müssen und wo wir Gott überlassen, was nötig ist zu tun. Dann kommt die Sehnsucht nach dem Leichten auch einmal zur Ruhe - wenn ich weiß: Es wird auch für mich gesorgt. Alle eure Sorge werft auf ihn; denn er sorgt für euch (1. Petrus 5,7). Das ist das Leichte im Leben: Er sorgt für mich. Die andere Welt Gottes ist fürsorglich zu mir, sie hüllt mich ein. Im Leben und im Sterben.
Musik: Antonin Dvorák, 2. Satz aus der Sinfonie „Aus der neuen Welt“