hr1 ZUSPRUCH
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Schäfer, Christoph

Ein Sendung von

Katholischer Religionslehrer, Rüsselsheim

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Scheitern als Chance: Der Spätlesereiter

Es ist ja ziemlich seltsam, wenn jemand fürs Zuspätkommen gefeiert wird. Genau das passiert heute in Fulda. Und anderswo in Hessen. Gerade wird nämlich das Jubiläum „250 Jahre Spätlesereiter“ begangen.

Um Erlaubnis zur Weinlese fragen

Die Geschichte ist wohl bloß erfunden. Ich find sie aber wirklich amüsant. Sie beginnt im Rheingau: Das dortige Weingut Schloss Johannisberg gehört damals dem Fuldaer Fürstbischof. Und den müssen die Mönche dort jedes Jahr im Herbst erst mal um Erlaubnis fragen, bevor sie mit der Weinlese beginnen können. Also macht sich auch 1775 wieder ein berittener Bote auf den Weg quer durch Hessen.

Die "Spätlese" als Zufallsprodukt

Das Problem: Er kommt und kommt nicht zurück. Die Mönche werden nervös. Die Trauben beginnen zu faulen. Irgendwann trudelt der Bote wieder ein. Zwar mit dem „Go“ für die Lese.  Aber so spät, dass die Trauben nach den damaligen Winzer-Maßstäben wertlos sind.

Die Mönche geben trotzdem nicht auf. Und keltern die schrumpeligen Beeren. Das Resultat ist eine sensationelle Entdeckung. Denn der Wein ist aromatisch wie nie zuvor. Seitdem ist die „Spätlese“ eine weltweit geschätzte Spezialität.

"Scheitern kann auch eine Chance sein"

Auch wenn diese Geschichte vermutlich nur eine Legende ist: Ich find sie großartig. Nicht nur wegen der leckeren Spätlese, die ich gern genieße. Sondern auch wegen der Botschaft, die für mich darin steckt: „Scheitern kann auch eine Chance sein.“ Das hab ich zum Glück auch immer wieder erlebt.

Im Studium bin ich zum Beispiel mit einer Seminararbeit erst mal krachend gescheitert. Ich hatte mich bei dem Thema total verzettelt. Der betreuende Professor hat meinen immer weiter ausufernden Arbeitsplan irgendwann wütend abgelehnt. Nach den Semesterferien hab ich dann eine abgespeckte Version bei einem anderen Professor eingereicht.  Der war angetan. Und ich erleichtert.

Einfach nicht aufgeben

Wenn ich nachdenk, fallen mir noch mehr Beispiele ein, in denen ich mit etwas Mut und auch Gottvertrauen trotz Scheitern nicht aufgegeben hab. Und sich eine neue Perspektive aufgetan hat. Der Dichter Paul Claudel hat das so ausgedrückt: „Gott schreibt auch auf krummen Zeilen gerade“.

Es ist für Gott nicht unmöglich, dass sich Dinge, die verloren scheinen, zum Positiven entwickeln. Ich find: Das ist auch das Fazit der Legende vom Spätlesereiter.