hr1 ZUSPRUCH
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Griesel, Tanja

Eine Sendung von

Evangelische Schulpfarrerin, Fritzlar

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Zwei Frauen umarmen sich herzlich, lächelnd in einer angenehmen Umgebung. Die Szene strahlt Freude und Verbundenheit aus. Eine der Frauen trägt eine blaue Jeansjacke, während die andere in einem hellen Oberteil gekleidet ist.

An der Ampel

Ich stehe mit dem Auto an der Ampel. Mein Blick fällt auf zwei Menschen, die sich auf dem Bürgersteig entgegenkommen. Neben der einen läuft ein kleiner Hund, der die Leine gespannt hält. Beide sind dick eingepackt, Jacken hochgeschlagen, Mützen tief ins Gesicht gezogen. Es ist kalt, ungemütlich, ein grauer Tag. 

Einfach nur eine Umarmung

Sie gehen nicht aneinander vorbei. Sie bleiben stehen. Ein paar Worte, kurz, beiläufig, dann umarmen sie sich. Für einen langen Moment halten sie sich fest. Mitten auf dem Gehweg, mitten am Tag, neben einer dicht befahrenen Straße. Keine Eile, kein Zögern. Einfach eine Umarmung – sehr herzlich und auch ein bisschen unbeholfen in den dicken Winterjacken. Danach lösen sie sich voneinander und gehen weiter, jeder in seine Richtung.

Eine schöne Geste ohne Anlass

Die Szene geht mir nicht aus dem Kopf. Ich kenne Umarmungen zum Abschied oder zur Begrüßung, routiniert, fast automatisch. Aber diese hier ist anders. Sie hat keinen Anlass, keine Verpflichtung. Sie entsteht aus einem Moment, der nur den beiden Unbekannten gehört. Ich weiß nichts von den Geschichten dahinter. Vielleicht kennen sie sich schon lange, vielleicht treffen sie sich zum ersten Mal. Vielleicht ist es Freude, vielleicht Trost, vielleicht einfach ein „Ich sehe dich“. Ich werde Zeugin einer Geste, deren Tiefe mir verborgen bleibt. Für sie eindeutig, für mich geheimnisvoll – und gerade deshalb berührend.

Nähe und Wärme können mitten im Alltag entstehen - einfach so

Und trotzdem springt etwas über. Eine Wärme, die ich spüre, obwohl ich gar nicht beteiligt bin. Eine Nähe, die nicht geplant oder angekündigt werden muss. Nähe kann entstehen, mitten im Alltag, ganz zufällig. 

Jemand lässt mich spüren: Du bist nicht allein!

Ich denke an all die kleinen Gesten, die ich selbst erlebe und schenke: ein Lächeln, das ich jemandem zuwerfe; eine Hand, die ich auf eine Schulter lege; ein kurzer Blick, der sagt: „Ich bin hier.“ Und manchmal wünsche ich mir selbst so eine Geste, die mich spüren lässt: Du bist nicht allein. Es gehört zusammen: schenken, empfangen, fühlen, bemerken.