hr1 ZUSPRUCH
hr1
Griesel, Tanja

Eine Sendung von

Evangelische Schulpfarrerin, Fritzlar

00:00
00:00

Bloß nicht abstumpfen

Beim Aufräumen meines Bücherregals bin ich auf ein kleines Büchlein gestoßen. Ein Glückstagebuch. Ich habe es vor Jahren gekauft, noch vor der Pandemie und vor dem Ukrainekrieg. Damals boomte die Glücksliteratur.

Darf ich glücklich sein?

Überall Ratgeber mit ultimativen Glücksformeln für ein gelingendes Leben. Heute klingt das sehr banal. Glück ist, wenn es mal einen Tag keine schlechten Nachrichten gibt. Unsere Welt scheint im ständigen Krisenmodus zu laufen: Klimakrise. Energiekrise. Flüchtlingskrise. Darf ich trotzdem glücklich sein?

Ich stelle die Frage einer Freundin. Sie antwortet mit einer Gegenfrage: Wem hilft es, wenn du unglücklich bist? Warum solltest du dich nicht an den schönen Momenten des Lebens erfreuen?

Freude ebenso wie Leid gehören zum Leben

Sie hat recht. Paulus schreibt in einem Brief an die Gemeinde in Rom: „Freut euch mit den Fröhlichen und weint mit den Weinenden (Römer 12,15)“. Freude und Leid. Beide gehören zum Leben dazu. Die Anteilnahme geht in beide Richtungen: sich mit jemandem und an etwas freuen, ist ausdrücklich erwünscht. Genauso wie Mitleid zu empfinden und Schmerz zu teilen. Bloß nicht abstumpfen, sagt meine Freundin, weder für das Schöne noch für das Leidvolle.

Glücksmomente des Alltags festhalten

Und mein Glückstagebuch? Dafür hat sie dann auch noch einen Rat parat. „Fang an“, sagt sie, „sammle darin Freude und Leid. Schreibe jeden Tag auf, wenn dir etwas Gutes widerfahren ist, worüber du dich gefreut hast, wofür du dankbar bist. Halte sie fest, die kleinen Glücksmomente des Alltags.

Auch festhalten, was uns Sorgen macht

Dann dreh das Tagebuch um und schreibe auf die letzte Seite, was Dir Sorgen macht. Schlechte Nachrichten oder Bilder, Gespräche oder Erlebnisse, die schwer waren. Du musst keinen Roman schreiben. Ein Stichwort reicht. Du kannst dann einen Moment still sein oder ein Gebet formulieren. Danach blätterst du wieder nach vorne und liest deinen letzten Glückseintrag noch einmal. Dann klappst du das Buch zu. Bis zum nächsten Mal.“

Dem Glück eine Chance geben

Ich muss gestehen, ich war kurz davor, das Glückstagebuch wegzuwerfen. Aber jetzt habe ich beschlossen: Ich gebe dem Glück noch eine Chance.