hr1 ZUSPRUCH
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Jelinek, Carmen

Eine Sendung von

Evangelische Dekanin, Kirchenkreis Kaufungen

Nein

Nein

Mich fasziniert, dass kleine Kinder offensichtlich schon genau wissen, was sie wollen, bevor sie überhaupt sprechen können.

Der kleine Tim kann schon sitzen, aber noch nicht sprechen. Seine Mutter meint es gut mit ihm und bietet ihm einen Sechs-Korn Brei an. Nach dem ersten Löffel presst Tim die Lippen zusammen und schüttelt den Kopf. 

Er kann noch nicht „Nein“ sagen, aber sein Kopfschütteln ist bereits ein erster Vorläufer davon.

Das ist ein riesengroßer Entwicklungsschritt. Das Baby, aber auch die Eltern, spüren, dass Tim ein eigenständiges Wesen ist.

Lisa ist schon zwei. Sie sagt neuerdings zu allem „Nein“. Wenn sie etwas essen soll, wenn es ums Anziehen geht oder auch wenn jemand sie bittet: „Hol doch mal dein Bilderbuch aus dem Wohnzimmer.“

Immer wieder „Nein“, die Eltern sind genervt. Lisa scheint keine andere Antwort zu kennen. Jetzt hat ihnen einer das so erklärt: Kleinkinder wissen nicht genau, was das Wort „Nein“ bedeutet. Sie probieren es aus und schauen, wie die Eltern darauf reagieren. Diese Info hilft Lisas Eltern: Sie nehmen nicht mehr jedes „Nein“ für bare Münze. Sie erkennen die Testphase, in der Lisa sich befindet. Wir Erwachsenen brauchen keine Testphase mehr. Wir wissen längst, was ein „Nein“ bedeutet. „Nein“ heißt eine Grenze zu ziehen, zu dem, was wir wollen und können, und dem was andere von uns erwarten.

Trotzdem müssen sich die meisten von uns ein Leben lang darin üben, „Ja“ oder „Nein“ zu sagen.  Es fällt ihnen nicht leicht, eine Entscheidung aus vollem Herzen zu treffen. Wir kennen viele Argumente, die für oder gegen etwas sprechen. Und wir leben in Beziehungen mit ausgesprochenen und unausgesprochenen Erwartungen. Wir enttäuschen nicht gerne andere – oder auch uns selber. Manche meinen auch, aus purer Nächstenliebe jede Erwartung und jeden Wunsch eines anderen erfüllen zu müssen. Das überfordert aber auch. Wenn ich neben den anderen auch mich selbst im Blick habe, dann muss ich abwägen, ob ich auch die Kraft für das habe, was ich gern für andere tun würde.

Und die Enttäuschung anderer kann ich leichter ertragen, wenn ich mich von Gott in meinen Grenzen angenommen und geliebt weiß.

Es ist schon beeindruckend, wie manche Menschen die Schwingungen ihres Gegenübers wahrnehmen, aber genau davor muss man sich auch schützen. Wir können die Päckchen der anderen nicht übernehmen.

Als Kinder haben wir manchmal mit einem Stöckchen einen Kreis um uns gezogen, um die Grenze zu uns zu beschreiben. Ich mache das heute noch manches Mal, und sei es in Gedanken. Der Kreis zeigt meine innere und äußere Grenze auf: „Bis hierher und keinen Schritt weiter!“

Sind mir meine Grenzen und Möglichkeiten klar, dann kann ich mit Herz und Verstand und aus voller Überzeugung heraus “Ja“ oder „Nein“ sagen.