hr1 ZUSPRUCH
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Grützner, Kurt

Eine Sendung von

Evangelischer Pfarrer i. R., Kassel

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E-Bike

E-Bike

Älter werden ist nicht leicht. Anfang Dezember haben wir unsere neuen Fahrräder in den Keller gebracht. Wir hatten sie im Frühjahr neu gekauft. Nein, nicht irgendwelche. Ein Bekannter hatte uns geraten: „Kauft doch mal E-Bikes“. „Ihr werdet sehen, ihr nehmt häufiger das Rad.“

Und er hätte sicher Recht, wäre da nicht meine Eitelkeit. Als wäre der zuschaltbare Motor nicht schon genug; der Verkäufer hatte mir auch empfohlen: “Nehmen sie lieber eins mit tiefem Einstieg. Ich hatte einen Kunden, der hatte sich ein teures Herren-E-Bike gekauft. Zwei Jahre danach bekam der Mann sein Bein nicht mehr über die Stange geschwungen – und musste sein neues Rad wieder verkaufen.“

Die Vernunft siegte in dieser schwachen Minute über die Eitelkeit. Und so fahre ich, voller Scham mit  einem Damenrad durch die Landschaft. Peinlich, sage ich Ihnen, peinlich.

Meine Frau weist mich auf unseren Fahrradtouren immer auf jüngere Männer hin, die auch ein E-Bike fahren, auch mit tiefem Einstieg. Und in der Tat, es gibt sie und sie schämen sich anscheinend kein bisschen. Und ich erzähle auf unseren Touren  immer, wie viel Fahrrad ich noch vor ein paar Jahren gefahren bin und wie fit ich da war. Ich danke meiner Frau, dass sie die Geschichten ihres alternden Radlers so geduldig anhört.

Älter werden ist nicht leicht. Das merke ich nun selber. Und ich sehe Männer meines Alters, die trainieren jeden Tag. Ja, sie sind fitter als ich. Was ich aber auch gemerkt habe: Älter werden schenkt mir auch die Möglichkeit, los zu lassen. Ich bin nicht mehr der Rennfahrer wie vor 10 Jahren. Aber ich habe entdeckt, wie schön es ist, ganz entspannt nebeneinander her zu radeln und miteinander zu erzählen, ohne aus der Puste zu kommen. Ich liebe es, öfter Mal eine Pause zu machen,  sich auf eine Bank zu setzen und die Landschaft gemeinsam zu genießen. Und es ist schön, nach einer Radtour nach Hause zu kommen und nicht gleich duschen zu müssen, weil der Schweiß nur so strömt. Wir können uns erst einmal hinsetzen und Kaffee trinken. Das sind neue und schöne Erfahrungen. Ich danke Gott, dass ich sie machen darf. Und ich nehme mir vor, das alles im nächsten Frühjahr wirklich zu genießen, ohne mich zu schämen.