hr1 ZUSPRUCH
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Wildfang, Christoph

Eine Sendung von

Evangelischer Pfarrer, Arnoldshain

Rheingaulinie

Ich sitze im Zug der Rheingaulinie. Hattenheim, Geisenheim und dann die nächsten schönen Weinorte am Rhein. Rechts Weinberge, romantische Kirchen und Weingüter, links der Strom. Ich schaue entspannt auf den Fluss. Wären da nicht vier ältere Damen in der 1. Klasse. Zuerst versuche ich angestrengt, das laute gehässige Lästern zu überhören. Es geht gegen Kinder. Konkret gegen eine kinderreiche Familie ein paar Plätze weiter und Fahrräder im Zug. „Ausländer natürlich.“ Dass die Kinder einfach so auf einem eigenen Sitzplatz sitzen und die Eltern sie nicht platzsparend auf die Oberschenkel nehmen.

Dieser Rheingauzug ist nicht mal besonders voll. Abschätzige Blicke wie Pfeile dringen bis zu der kinderreichen Familie vor. Aufstehen, woanders hin gehen, bleiben, ignorieren? Ich setze mich betont lächelnd in die Vierersitzgruppe neben die Frauen. „Wissen Sie, ich komme auch aus so einer asozialen Familie,“ sage ich, „wir waren damals 4 Kinder und sind auch oft Zug gefahren. Weil wir kein Auto hatten. Dafür so eine Billigfahrkarte für kinderreiche Familien, einen „Würmeling“. Nannte man auch Karnickelpass. Sonst hätten wir uns Zugfahren nicht leisten können. Und wenn wir mal per Bahn unterwegs waren, dann hatten wir auch noch sechs Fahrräder mit. Meistens trafen wir auf nette Menschen, manchmal auch nicht.“

Ich bin mir nicht sicher, ob meine Kritik ankam. Manchmal begegnet man Menschen, die nicht weiter nachdenken möchten. Auch ich ertappe mich manchmal bei dem Versuch, mich nicht weiter auseinandersetzen zu wollen. „Gott schuf den Menschen zu seinem Bilde.“ (1. Mose 1.27). Jeden Menschen! Ich wünsche mir, dass Gott mich auch in diesem Sinn annimmt – und ich andere Menschen dann auch als Gottes Ebenbilder akzeptieren kann. Ich hoffe eindringlich, dass ich selbst nicht zu oft dazugehöre, wenn über Andere hergezogen und Menschen ausgegrenzt werden.

Es ist so einfach, sich von seinen Vorurteilen leiten und bestärken zu lassen. Dagegen möchte ich ankämpfen und das ist eine Aufgabe, an der man sein ganzes Leben ackern muss. Dass man sein eigenes Mitgefühl nicht abtötet. Eigentlich traurig, wenn man so festgefahren und in sich verschlossen ist. Es ist billig, böse Pfeile gegen vermeintlich Andere abzuschießen. Ich für meinen Teil versuche mein Leben lang daran zu arbeiten.