Wenn man dir deine Krücken nimmt
Wer sich gegen sein Glück wehrt, wird es verpassen. Denn man kann die Menschen nicht zu ihrem Glück zwingen. Das gilt zum Beispiel für den Kreis älterer Stammtischbrüder. Früher redeten sie noch über Frauen oder über Autos. Später über Fußball. Seit zwei oder drei Jahren über Krankheiten und Arztbesuche. Da gibt einer ein Stichwort und kommt auf den Blutdruck zu sprechen. Und schon sind sie mitten drin in der Welt der Krankheiten, die sie gedanklich in Beschlag nimmt.
Dabei machen sie alle noch einen ganz passablen Eindruck. Sicher, ein bisschen übergewichtig, aber im Kopf sind sie noch klar und auch noch einigermaßen beweglich. Aber sie kommen von ihrem Thema nicht los. Sogar der entlastende Befund letzte Woche wird eher am Rande erwähnt, weil ja seltsamer Weise schon wieder eine neue gesundheitliche Bedrohung aufgetaucht ist. So gehen sie hin, die Stammtischabende. Jammern ist angesagt.
Man kann Menschen nicht zu ihrem Glück zwingen. Das gilt auch für die Frau, die mit Beruf und Haushalt und Kindern sich immer an der Grenze ihrer Belastbarkeit bewegt. Und manchmal darüber. Aber auf die vielfältigen Angebote, sie zu entlasten, geht sie nicht ein. "Du, mach dir einen schönen Abend, ich pass auf die Kinder auf." Diesem Angebot folgt ein kleines Danke und ein großes Aber. "Aber der schläft so schlecht ein." "Aber, da habe ich keine Ruhe." "Aber ich bin viel zu abgekämpft, um abzuschalten."
Ja, manchmal ist es nötig und ratsam, die eigenen Beschwerden und Nöte nicht zu ignorieren. Aber man kann sich auch in sie verlieben. Die Musikgruppe "Wir sind Helden\" hat dieses Phänomen in einem Lied zum Thema gemacht. Da ist von Engeln die Rede, die uns begegnen. Und dann heißt es dort: "Wenn sie sagten, wir nehmen dir deine Krücken, würdest du tanzen oder dich danach bücken?"
Ja, wenn die Engel in dein Leben kommen und dir die Krücken wegnehmen, von denen du meinst, du brauchst sie ganz dringend, nein, sie nehmen sie dir und sagen: Es ist alles in Ordnung. Dann freu dich drüber, statt sie zu vermissen. Dann tanze, statt weiter Trübsal zu blasen.
