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Eine Sendung von

Evangelischer Pfarrer im Ruhestand, Biebertal

Was zu viel ist, verdirbt. Nicht zuletzt den Charakter

Was zu viel ist, verdirbt. Nicht zuletzt den Charakter

Manchmal sind die einfachsten Aufträge die schwersten. Sagen sie einem Kind: Nimm dir von den Bonbons soviel, wie du brauchst! Wie viele Bonbons braucht ein Kind? Eigentlich doch einen ganzen Korb voll, weil ja niemand weiß, wie lange sie halten müssen und Vorräte immer gut sind. Oder vielleicht doch nur einen, weil ich ja mehrere gleichzeitig gar nicht lutschen kann. Und wer weiß, vielleicht gibt es ja morgen wieder andere Köstlichkeiten.

Nimm dir so viel, wie du brauchst. Auch wir Erwachsenen haben mit diesem Auftrag unsere Schwierigkeiten, obwohl es eine unvorstellbar große Wirkung haben könnte, wenn wir Menschen ihn erfüllen. Denn wenn jeder von den Reichtümern dieser Erde, von Bodenschätzen und Tieren und Pflanzen und Wasser nur so viel nehmen würde, wie er oder sie braucht, würde es für alle reichen und noch genug übrig bleiben.

Aber keiner will zu kurz kommen. Das ist die große Angst, die verhindert, dass wir diesen Auftrag erfüllen. So ging es schon dem Volk Israel bei ihrem Zug durch die Wüste. Als das Essen ausging und die Menschen der Verzweiflung nahe waren, fiel Manna vom Himmel. Seltsames Brot der Wüste. Und man musste es nur auflesen. So viel wie du brauchst. Trotzdem stopften sich manche die Taschen und Körbe voll, wer weiß denn, was morgen ist, da will man doch sicher gehen. Aber das, was mehr war, verdarb über Nacht, stank bestialisch und war am nächsten Tag zu nichts mehr zu gebrauchen. Außer dazu, den Raffern die Moral der Geschichte klar zu machen: Das, was zu viel ist, verdirbt. Nicht zuletzt den Charakter.

Für den Umgang mit den Gütern der Erde ist dieser Satz ein brauchbares und hilfreiches Programm, und zwar mit seiner doppelten Aussage. Zum einen: Gott sorgt für dich. Mach dir keinen Kummer, es ist so viel da, wie du brauchst. Aber auch: Nimm dir nur so viel, wie du brauchst. "Soviel du brauchst." Das war das Motto des Evangelischen Kirchentags, der gestern in Hamburg zu Ende ging. Trost und Anspruch gleichermaßen.