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Eine Sendung von

Evangelischer Pfarrer, Frankfurt

Unvollkommen sein heißt menschlich sein

Unvollkommen sein heißt menschlich sein

Natürlich versuche auch ich, alles möglichst gut hinzukriegen. Gute Leistungen, schnelle Ergebnisse und wenn’s geht: beste Gesundheit. Und so wie ich machen es wohl die meisten Menschen. Der Versuch, möglichst optimal zu sein, gehört zum selbstbewussten Leben dazu. Inzwischen gibt es regelrechte Trainingsprogramme für die sogenannten „Selbstoptimierer“, sogar als App für Smartphones. Da werden Arbeits- und Ruhephasen kontrolliert, Essen und Trinken in richtigen Proportionen zugeteilt, effektives und diszipliniertes Verhalten gesteuert. Auf so was würde ich mich ja nicht gleich einlassen. Aber im Prinzip bin auch ich daran interessiert, mich zu verbessern.

Und dann ist mir in den letzten Tagen wieder ein Satz von Hanns Dieter Hüsch begegnet, dem Kabarettisten vom Niederrhein. Ein Satz, der wie ein Gegen-Satz, ein Widerspruch zu allen Versuchen der Selbstoptimierung klingt. Hüsch hat einmal gesagt: „Zur Würde der Menschen gehört immer das Unvollendete. Ich bitte die Menschen, sich dies zu erhalten.“ Dazu passt, was ich aus Hanns Dieter Hüschs Leben weiß. Als Kind in der 30er Jahren musste er mehrere Operationen über sich ergehen lassen, weil seine Füße von Geburt an missgebildet waren. Er konnte keine normalen Schuhe tragen, die anderen Kinder hänselten ihn, er zog sich immer mehr zurück. „Man fühlte sich sehr schnell alleine“ – hat er später mal über diese Zeit gesagt.

„Zur Würde der Menschen gehört immer das Unvollendete.“ Ist das nur der Satz eines Mannes mit verkrüppelten Füßen, der als Junge in unförmigen Filzpantoffeln rumlaufen musste? Und der „das Unvollendete“, also: das was nicht optimal ist, deswegen lobt, weil er sich selbst so fühlt? Sicher sieht einer wie Hüsch wacher, was alles nicht vollkommen ist. Nimmt empfindsamer wahr, wo die schwachen und unfertigen Punkte eines Menschen sind. Das Besondere ist aber, dass er diese unvollendeten Seiten, die er kennt, nicht beklagt, sondern lobt. Für Hüsch gehört das Unvollendete zur Menschenwürde! „Ich bitte die Menschen, sich dies zu erhalten.“

In dem, was nicht vollendet scheint, was in unseren Augen wie ein Fragment aussieht, das was im Leben eines Menschen nicht optimal ist, ist das nicht das, was seine Person ausmacht, was ihn unterscheidet von anderen? Vielleicht kommt ja eines Tages die App auf den Markt, die uns hilft, unvollkommen zu sein, ein bisschen anders, vielleicht auch hilflos und schwach – mit einem Wort: menschlich!