hr1 ZUSPRUCH
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Wildfang, Christoph

Eine Sendung von

Evangelischer Pfarrer, Arnoldshain

Noch einmal

Noch einmal

Noch einmal bin ich mit meinem alten Onkel Otto in Kiel unterwegs. An dem Ort, wo er gearbeitet hat. Er hat als Schlosser an großen Schiffen geschafft. Ein Leben lang. Wir gehen am Ufer der Kieler Förde entlang. Von den großen Werften gibt es heute fast keine sichtbaren Spuren mehr. „Jo jo jo,“ sagt der Onkel und schaut auf die Ostsee. Er wird immer ein Stückchen dementer. Es gibt wache Phasen und andere Momente, wo er ganz woanders ist.

Meistens lächelt er. Es ist ein langsamer Abschied auf Raten. „Jo, jo jo,“ sagt er. Wir setzen uns auf eine Bank, weil er auch nicht mehr so lange stehen kann und ich erzähle ihm von seiner Werft. Was er mir früher mal erzählt hat. Wie sie in Schichten hart gearbeitet und geschweißt haben. Vom Stapellauf. Vom Henkelmann mit dem Essen drin. Im Wohnzimmer hängt eine Urkunde und ein Metallteil, das hat er am Ende überreicht bekommen, Messing oder Kupfer vergoldet. Keiner weiß mehr, was das sein soll, er auch nicht. Vielleicht ein Werkzeug? Das Leben mit Onkel Otto ist nicht mehr ganz einfach.

Letztens hat er vergessen, wie der Herd ausgeht. Er hatte nicht mal was gekocht, aber voller Schrecken merkte er, dass er solche einfachen Prozesse wie Herd an, Herd aus, nicht mehr einordnen kann. Letzte Woche hat er die Haustür nicht mehr am Haus gefunden. Er stand im Garten davor, wusste aber nicht mehr wie hinein zu kommen. Manchmal merkt er, dass da etwas nicht stimmt, manchmal auch nicht. Und dann vergisst er die größeren und kleineren Schwierigkeiten wieder. Draußen ist er gerne. Aufmerksam nimmt er die Möwen wahr. Einige Winterlinge.

Dafür die Kälte nicht, man muss ihn ankleiden und einen Schal und Handschuhe mitnehmen und anziehen. Noch einmal zeige ich ihm Orte seiner Kindheit, Jugend und seines Schaffens. „Jo jo jo,“ nickt er lächelnd. Ab und zu zeigt er auf ein besonderes Haus, ein Denkmal und nickt freudig. Noch einmal alles sehen, fühlen, manches anfassen wie einen Brunnen oder eine Kirchenbank in der alten Stadtkirche. Es sind schöne  langsame Momente des allmählichen Abschieds. Die bleiben mir als Neffe, der ihn gern hatte und gern hat. Auch wenn ihn später ihn hilfreiche Nachbarn fragen: „War nicht dein Neffe Christoph da?“ „Nein!“, sagt er entschieden und schüttelt den Kopf. „Nein, der war nicht da!“