hr1 ZUSPRUCH
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Vorländer, Martin

Eine Sendung von

Evangelischer Pfarrer und Senderbeauftragter für den DLF, Frankfurt

Morgenstern

Morgenstern

Die Stunde ganz früh am Morgen kann herrlich sein. Die meisten anderen schlafen noch. Man hat die Welt für sich allein. Niemand, der einem das Bad streitig macht oder einem in der Küche im Weg umgeht. Niemand, dem man Rede und Antwort stehen, auf den man reagieren muss. Zeit ganz für mich und die kleinen Morgenrituale, die in den Tag hineinhelfen: Morgendusche, das Radio, das auf den neuesten Stand der Welt da draußen bringt, sich recken und strecken, mit dem Hund raus, die erste Tasse Tee oder Kaffee.

Es ist, als wäre man seiner Zeit einen Sprung voraus und könnte ein bisschen davon verschwenden. Langsam aus der Benommenheit der Nacht auftauchen und die ersten Gedanken fassen. Der Tag ist noch nicht festgelegt. Sanft ist in die Morgendämmerung verpackt, was heute auf mich zukommen wird. Das erste Licht zieht herauf und vertreibt das Dunkel.

„Wie schön leuchtet der Morgenstern“, heißt ein Lied, das zurzeit häufig in den Kirchen angestimmt wird. Jesus Christus wird als Morgenstern besungen. Der Morgenstern ist das Gestirn am Himmel, das vor dem Aufgang der Sonne am hellsten leuchtet. Er ist da, auch wenn der Himmel bedeckt ist. Er kündigt an, dass die Nacht fast vorbei ist und der Tag kommt. Er heißt darum auch „Lichtbringer“. Kein Flutlicht, das wie auf Knopfdruck die ganze Szenerie grell erleuchtet. Sondern ein freundliches Licht, das den Augen Zeit gibt, sich an die Helligkeit zu gewöhnen.

Ich finde das ein wohltuendes Bild in aller Frühe: der Morgenstern, der behutsam in den Tag hinein leitet. Freundlich, aber bestimmt räumt er mit den Schatten der Nacht auf. In sanften Portionen sorgt er für immer mehr Klarheit und Licht. Während ich noch damit beschäftigt bin, mich zu sammeln und zu rüsten, gibt er dem Tag Aufwärtsbewegung. Wie eine freundliche Aufmunterung von höchster Stelle: „Auf geht’s!  Was immer gestern gewesen ist: Heute ist ein neuer Tag. Du darfst neu aufstehen und neu anfangen.“