"Mein Herkules"

"Du bist mein Herkules", sagt Petra zu ihrem Mann Matthias und legt ihre rechte Hand auf seinen Arm. Die rechte Hand kann sie noch bewegen. Die linke liegt im Schoß und streikt, wie die gesamte linke Körperhälfte. Seit einem Hirninfarkt mit 44 Jahren ist Petra halbseitig gelähmt. Und Matthias, ihr Herkules, hat auf den ersten Blick wenig gemeinsam mit seinem klassischen Namensvetter: Er ist nicht gerade ein Modellathlet. Er hat auch keinen Löwen erlegt und keinen Stier gebändigt. Tagsüber arbeitet er als Ingenieur. Morgens und abends pflegt er seine Frau und erledigt den Haushalt. Als Ingenieur setzt er dabei auf Technik: Arzttermine und Behandlungszeiten werden elektronisch verwaltet. Waschmaschine und Trockner laufen per Zeitschaltuhr. Das neue rollstuhlgerechte Badezimmer ist dank technischer Mittel so ausgestattet, dass Petra Dusche und WC alleine bedienen kann.

"Du bist mein Herkules", sagt Petra zu ihrem Mann. Und für die Menschen in der Nachbarschaft gilt er als ein heimlicher Held. Matthias überhört das, weil er den Alltag mit seiner Frau und der Tochter für das normalste der Welt hält. Er sagt: Ich fühle mich nicht moralisch verpflichtet. Ich gehe auch nicht über meine Kräfte. Ich habe nur gelernt, was im Leben wichtig ist und was nicht. Da werden eben die Fenster seltener geputzt. Und die Wäsche liegt auch mal zwei Tage im Trockner. Aber ich habe doch meine Frau. Als sie damals nach der OP ins Koma gefallen war, hat kein Arzt damit gerechnet, dass sie wieder aufwacht. Und nun ist sie da. Ich kann mit ihr reden, mit ihr lachen, mich mit ihr beraten.

Matthias würde nicht sagen: ich bin ihr das schuldig. Oder: Ich habe doch versprochen, in Höhen und Tiefen für sie da zu sein. Das ist ihm alles viel zu moralisch. Er sagt mit strahlendem Gesicht: Ich liebe sie halt. Und bin unendlich froh, dass wir uns haben. Sage keiner, Liebe sei nur ein Wort. Oder eine kitschige Umschreibung neurologischer Vorgänge. Liebe ist eine Himmelsmacht. Sie ist das größte, was uns von Gott geschenkt ist.