hr1 ZUSPRUCH
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Wildfang, Christoph

Eine Sendung von

Evangelischer Pfarrer, Arnoldshain

Iss ein paar Erbsen

Iss ein paar Erbsen

In Indien ist Vieles anders. Auch das Essen. Ich wohnte bei Freunden und teilte ihr ganz normales einfaches Leben. Auch das Essen. Manchmal fehlten mir grad am Nachmittag Kaffee und Kuchen. Kaffee gab´s für mich in Indien nur morgens, eine  Tasse. Milch, direkt von der Kuh und dann ein Tütchen lösliches Kaffeepulver  hinein und verrührt. Ich weiß, dass das für meine Gastgeber schon teuer genug war.

Nachmittags bekam ich dann eine Handvoll Erbsenschoten, wenn ich mal Appetit meldete. Die pulte ich auf, pflückte die Erbsen heraus. Manchmal war ich ziemlich  hungrig. Wenn mir dann beim Essen auch nur eine Erbse runterfiel, suchte ich sie, bis ich sie fand. Anfangs beschämte es mich, dass ich mit dem vegetarischen Essen  nicht so gut auskam. Ein Schälchen „Sabji“, also gekochtes oder angebratenes Gemüse morgens, dann wieder ein Schälchen abends. Frisches selbstgemachtes Brot dazu und Wasser.  Es gab schon genug, oder auch ein zweites Schälchen und immer etwas Anderes.

So viele Gemüsearten. Allerdings war es immer sehr scharf. Ich bin dünner geworden.  Manchmal ging ich dann eben mal in ein Frühstückscafé in die Stadt. Kaffee gab’s dort und Toast. Also einfach Toast, wohl gebacken, hart wie Zwieback. Zum Kaffee gibt’s immer  Leitungswasser dazu. Für  Touristen wie mich mit ein wenig Vorsicht zu genießen. So genoss ich meinen Kaffee, den Inder immer zwischen Tasse und Unterteller hin und her gießen, damit er etwas abkühlt. Einmal kam ein Bettler  zu mir an den Tisch. Er huschte geräuschlos heran. Sah mich an, als ob ich ihn vielleicht verjagen würde. Sehr rasch leerte  er alle Wasserbecher, die auf dem Tisch standen. Jeden schnell in einem Zug. Immer wieder  schaute er mich kurz an, ängstlich blickte er auch nach dem Gastwirt, als ob er nur auf seinen Rauswurf  wartete. Starrte mit weiten Augen auf den Toast in meiner Hand, dann schnell wieder zum Gastwirt. Wie auf der Flucht.

Ich brach meinen Toast und schob ihm die Hälfte unter der Tischplatte zu. Er verschlang das Brot blitzschnell und auch die nächsten, die ich ihm unauffällig hinschob. Wie ein gehetztes Tier sprang er danach sogleich auf und rannte davon. Ich denke an ihn. Ich hätte ihn doch richtig einladen können. Mit ihm sprechen können. Ihn vor dem Rauswurf beschützen können. Nichts zu essen haben, ist Horror. Ist würdelos. Ist unmenschlich. Ich denke oft an diesen hungrigen Menschen. Hungern, das ist ein Skandal, nicht nur in Indien.