Erfolg verdankt sich nicht nur eigner Leistung - es ist auch Gnade
Manchmal finde ich Orts- oder Gebäudenamen ganz und gar ärgerlich. Wer zum Beispiel eine Ansammlung von ein paar lausigen Fabriken einen Industrie-„Park“ nennt, verschleiert damit nur, wie hässlich das Ganze ist und wirklich alles andere als ein „Park“. Es gibt aber auch Bezeichnungen, die uns zu Recht irritieren, weil sie daran erinnern, wie etwas sein könnte, wohin sich etwas entwickeln müsste. Der erste schwarze Präsident der Republik Südafrika, Nelson Mandela, hat 1995 seinem Amtssitz in Kapstadt den Namen „Genadendal“ gegeben, also „Gnaden-Tal“.
Was hat diesen gerade erst ein Jahr vorher gewählten Staatspräsidenten geritten, ausgerechnet diese Bezeichnung für seinen Dienstsitz zu wählen? Das Ende der Apartheid in Südafrika wurde in jahrzehntelangen blutigen Kämpfen errungen. Mandela selbst hat 27 Jahre in südafrikanischen Gefängnissen verbracht. So viele Opfer. So großes Leid. Und nun: Gnadental? War es denn eine Gnade, dass jetzt endlich die schwarze Mehrheit einen schwarzen Präsidenten wählen durfte? Natürlich nicht. Es war schlicht gerecht – und längst überfällig.
Als Nelson Mandela seinen Amtssitz in „Genadendal“ umbenannt hat, hat er sich für einen Namen entschieden, der in Südafrika bekannt ist: Genadendal heißt die älteste Missionsstation im südlichen Afrika. Im 18. Jahrhundert hatte dort ein evangelischer Missionar begonnen, Menschen des Khoi-Khoi –Volkes und entlaufene Sklaven zu unterrichten. Wenn sich Mandela gerade für diesen historischen Namen entscheidet, macht er klar: Es geht nicht um Weiß oder Schwarz. Sondern, wie Menschen miteinander leben und füreinander da sind.
Aber auf mich wirkt es so, als wollte Mandela nicht nur an diese alte Missionsarbeit erinnern. Er bringt in die harte politische Welt, in der es um Macht geht und ums strategische Durchsetzen von Interessen – das Wort Gnade ein! Das ist für mich so etwas wie ein archaischer Haussegen. Und der gilt nicht nur für Staatspräsidenten: Vergiss nicht, dass Du selbst dann, wenn Du auf Dein Lebenswerk stolz sein kannst, Dich nicht nur Deinen eigenen Fähigkeiten verdankst. Es ist nicht allein Dein Verdienst, dass Du so weit gekommen bist. Es ist auch Gnade dabei. Ein unverdientes Geschenk. Und wenn Du Dir das klarmachst, dann kannst Du auch selbst mit anderen Menschen gnädig umgehen. Kannst versuchen zu versöhnen statt zu spalten. Kannst verzeihen, statt verdammen.
Genadendal – dieser Name ist Programm.